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Krankheitsbild NarkolepsieSchlafend von der Bank gefallen

Die sogenannte "Schlafkrankheit" ist nicht so harmlos wie ihr Name: Ein Versagen der Muskeln kann zu gefährlichen Situationen führen. Die Ursache liegt noch im Dunkeln.

Macht den Arbeitgeber möglicherweise wütend: Narkolepsie. Bild: dpa

Wenn der Finanzbeamte Ernst-Friedrich Breuhaus in seinem Büro saß, befand sich hinter einem massigen Holzschrank immer eine Luftmatratze. Merkte er, dass die Müdigkeit ihn wieder überrollte, zog er die Luftmatratze hinter dem Schrank hervor und schlief sofort ein.

Breuhaus Schlafpausen waren kein modisches Powernapping oder eine sommerliche Siesta, sondern körperliche Notwendigkeit. Denn Breuhaus leidet unter Narkolepsie. "Schlafkrankheit" wird sie gerne genannt. Doch die Müdigkeit ist nur ein Aspekt.

Zwanzig Jahre dauerte es bei Breuhaus, bis er mit seinen Symptomen zum Arzt ging. Da war er bereits über 50. Und dann kannte er die Diagnose eigentlich schon - er hatte selbst recherchiert. Sein Grund für die lange Wartezeit: "Ich habe die Symptome als persönliche Schwäche empfunden." Die Müdigkeit, die ihn in regelmäßigen Abständen heimsucht, der er schließlich nachgeben muss und die vom Umfeld der Erkrankten als Faulheit, Desinteresse oder im besten Fall als Schlafmangel ausgelegt wird. Um dem vorzubeugen, hat Breuhaus immer abends länger gearbeitet: "Das Schlafen führt auch dazu, dass ich dann später leistungsfähiger bin." Doch neben der Müdigkeit gibt es die Kataplexien.

Breuhaus erinnert sich noch an seine erste Kataplexie: Nach einer Kaffeepause geht er mit Kollegen den Fußweg entlang - als wie aus dem Nichts seine Beine versagen. "Muskeltonusverlust, Anfälle von Muskelversagen", erklären Ärzte das Symptom. Die Kataplexien können überall im Körper auftreten, in den Knien, den Armen oder im Gesicht. Und, charakteristisch für die Narkolepsie: Die Anfälle gehen fast immer auf einen konkreten Reiz zurück.

"Narkoleptiker reagieren vor allem auf positive Reize", sagt Geert Mayer, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin und Leitender Arzt der Hephata-Klinik Schwalmstadt-Treysa. Das kann ein Witz sein, der bei dem Betroffenen einen Lachanfall und damit die Kataplexie auslöst. Der Unterschied zu epileptischen Anfällen: Bei einer Kataplexie ist der Patient immer bei vollem Bewusstsein.

Auch Alexander E. kennt die Kataplexien und die plötzliche Müdigkeit. Schon in der Schule fiel er schlafend von der Bank - und handelte sich laufend Rüffel von den Lehrern ein. Jetzt, mit Mitte 30, hat endlich ein Arzt die richtige Diagnose gestellt.

"Im Schnitt dauert es fünf Jahre, bis die Krankheit diagnostiziert wird", sagt Mayer. Tendenz sinkend. Doch auch er weiß von Patienten zu berichten, die zunächst mit vermeintlichen Neurosen oder Psychosen beim Psychiater gelandet sind, bei denen Borderline-Störungen und Depressionen diagnostiziert wurden. Und, noch schlimmer: Er vermutet eine hohe Dunkelziffer. Studien auch aus anderen Ländern haben ergeben, das auf 100.000 Menschen im Schnitt 20 Erkrankte kommen. In Deutschland sei die Krankheit aber derzeit nur bei rund 4.000 Personen diagnostiziert worden. Zu erwarten wären mindestens viermal so viele.

"Sie haben Narkolepsie." Eigentlich müsste diese Diagnose bei den Patienten einen Schock hervorrufen - handelt es sich doch um eine bislang unheilbare Krankheit. "Die meisten Erkrankten sind jedoch heilfroh, dass sie endlich eine verlässliche Diagnose haben", berichtet Mayer. Genauso ging es E. Mit der Diagnose werden ihm auch die Einschränkungen im Alltag bewusster. "Es wird schwer, Termine einzuhalten, weil ich ständig zwischendurch Pausen machen muss." Bei Autofahrten versucht er inzwischen, die Pausen regelmäßig einzuplanen. Zweimal schon hatte er einen Unfall - weil er beim Fahren kurz einschlief und plötzlich langsamer wurde. Doch das passierte, bevor er die Diagnose erhielt.

Die Narkolepsie bedeutet daher auch, dass die Patienten ihr Leben neu strukturieren müssen. Schlafhygiene empfehlen die Ärzte und meinen damit: regelmäßig schlafen. Dazu kommen Stimulanzien gegen die Tagesmüdigkeit und Medikamente, die die REM-Phase unterdrücken. Das ist die Schlafphase, die bei Gesunden zum Ende des Nachtschlafes auftritt und durch schnelle Augenbewegungen und Träume gekennzeichnet ist. Antidepressiva unterdrücken mit der REM-Phase nicht nur die Müdigkeit, sondern auch die Kataplexien und Halluzinationen, die bei vielen Narkoleptikern auftreten.

Breuhaus, der heute stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft (DNG) ist, berichtet außerdem von Bekannten, die die Symptome zum Beispiel mit der Einnahme von Enzymen lindern. Ähnlich ist es mit den Medikamenten: schlucken und abwarten, ob es wirkt.

Dabei ist Narkolepsie nicht einmal die am schlechtesten erforschte Krankheit. Laut Mayer ist sie bei den "orphan diseases", den seltenen Krankheiten, eine der am besten bekannten und somit eine Art Modellerkrankung für Schlaf-Wach-Störungen. Doch ihre Ursachen liegen nach wie vor im Dunkeln. "Eine genetische Prädisposition muss es geben", weiß Mayer. Aktuelle Studien fanden bei fast sämtlichen Erkrankten das Antigen HLA-DR2, das auch bei Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielt. Allerdings: Wer es trägt, muss noch lange nicht an Narkolepsie erkrankt sein. Dazu kommt: Im Gehirn von Narkoleptikern ist weniger Hypocretin nachzuweisen als bei Gesunden. Hypocretin ist ein Botenstoff, der unter anderem unseren Wach-Schlaf-Rhythmus beeinflusst.

"Momentan ist die Forschung vor allem in der Pipeline", sagt Mayer. Derzeit würden gerade in den USA große Genetikstudien durchgeführt. Mayer will nicht ausschließen, dass in den nächsten Jahren die wahre Ursache für die Erkrankung entdeckt wird.

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