: Kräfte, mächtiger als der Staatspräsident
■ Egal, wer in Teheran regiert – ohne Angst wird Rushdie nie leben können
Er gilt als Mann der Intellektuellen und Schriftsteller. Doch kann der am 23. Mai gewählte künftige Präsident Irans, Mohammad Chatemi, den Mordaufruf gegen Salman Rushdie revidieren? Kaum.
Im Wahlkampf propagierte Chatemi neben einer Verbesserung der Situation der BürgerInnen der Islamischen Republik die Freiheit des Wortes; immerhin haben inhaftierte Intellektuelle wie der Schriftsteller Faradsch Sarkuhi dadurch ein wenig Grund zur Hoffnung. Der in Form eines islamischen Rechtsgutachtens von Revolutionsführer Ajatollah Chomeini kurz vor seinem Tod ausgesprochene Mordaufruf gegen Salman Rushdie gehört im Iran zu den Essentials – nicht wegen des Inhalts, sondern seines Urhebers. Wer die Todesfatwa revidieren will, legt sich mit den höchsten Instanzen des Landes an. Und die sind mächtiger als der Präsident.
Am 14. Februar, dem achten Jahrestag des Mordaufrufs, skandierten Hunderte Teilnehmer des Freitagsgebets in der Teheraner Universität: „Tod dem Abtrünnigen Rushdie“. Der Hauptredner, Ajatollah Mohammad Emami Kaschani, ging nicht auf die Sprechchöre ein – ein Zeichen dafür, daß Teile der iranischen Staatsführung die international imageschädigende Fatwa am liebsten in Vergessenheit geraten lassen würden. Doch am gleichen Tag meldeten sich die Hardliner zu Wort. Die Stiftung 15. Chordad erhöhte das auf den Schriftsteller ausgesetzte Kopfgeld um 500.000 US-Dollar. Wer Rushdie ermordet, hat damit 2,5 Millionen Dollar sicher.
Die religiöse Stiftung 15. Chordad wird in Teheran gerne als Privatverein dargestellt. Aber laut der staatlichen Zeitung Keyhan International macht sie jährlich Auslandsgeschäfte im Wert von rund zehn Millionen US-Dollar. Mit ihr verbundene Firmen verkaufen Pharmaprodukte, Kosmetika und Lebensmittel vor allem in die Golfstaaten, Pakistan, den Kaukasus und Zentralasien. Damit gehört die Stiftung zu den finanzstärksten Organisationen Irans. Und: Ihr Chef Ajatollah Hassan Sanei gilt als Mann des Ali Chamenei. Der religiöse Führer und Chomeini- Nachfolger ist – zumindest laut Verfassung – der mächtigste Mann im Staat. Wie er zum Fall Rushdie steht, verdeutlichte die ihm nahestehende Zeitung Keyhan zwei Tage nach dem Jahrestag der Fatwa: Rushdie müsse sein „gerechtes Schicksal“ erfahren.
Es ist unwahrscheinlich, daß der als toleranter Muslim geltende Chatemi sich dem Thema Rushdie nähern wird. Seinen Wahlkampf bestritt der Geistliche im Rang eines Hodschatolislam (eine Stufe unter dem eines Ajatollahs), aber durch seinen schwarzen Turban als Nachkomme des Propheten Muhammad ausgewiesene Chatemi vor allem mit innenpolitischen Themen: Die Bekleidungsvorschriften für Frauen sollten gelockert werden, deutete er an; das Verbot von Satellitenfernsehen werde bald aufgehoben werden, interpretierten Anhänger seine Worte. Auf diesem Gebiet wird sich Chatemi Feinde im Establishment schaffen – Grund genug, die Fatwa nicht anzustasten.
Zwar gibt es im Iran Geistliche, die verstanden haben, daß der Mordaufruf des greisen Revolutionsführers vor allem politisch motiviert war und nicht religiös. Doch trauen sie sich nicht, dies auszusprechen. Auch wenn Chatemi die Fatwa für null und nichtig erklären würde, könnten sich immer noch weltweit Gläubige nach Chomeinis Lehre richten. Ein Leben ohne Angst wird der Schriftsteller nie mehr führen können – egal, was in Teheran passiert. Thomas Dreger
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