Krach um "Berliner Zeitung"-Sparpläne: Redaktion fordert Rücktritt von Chef
Die Redaktion der "Berliner Zeitung" hat Chefredakteur Depenbrock aufgefordert, sein Amt niederzulegen. Zuvor hatte er neue Sparmaßnahmen verkündet.
"Enthusiastisch" ist das Wort, das David Montgomery vor kurzem benutzte, um zu beschreiben, wie seine Berliner Mitarbeiter seine Pläne aufnähmen. Enthusiastisch laut Wörterbuch: begeistert, schwärmerisch.
Die Wahrheit ist: Am Donnerstag flossen in der Redaktion der Berliner Zeitung Tränen. Sie forderte ihren Chefredakteur danach zum Rücktritt auf.
Der Mecom-Konzern des Briten David Montgomery hält die BV Deutsche Zeitungsholding, zu der der Berliner Verlag und damit auch die Berliner Zeitung gehört. Nachdem am Mittwoch Chefredakteur Josef Depenbrock, zugleich Geschäftsführer der Holding, mit Montgomery zusammengetroffen war, bat die Redaktion Depenbrock am Donnerstagmorgen in der Redaktionskonferenz um eine Stellungnahme zu einer langeschwelenden Frage: Werden offene Stellen nachbesetzt? Depenbrocks Antwort lautete, es müsse "weiter gespart" werden, und er brauche Zeit, um über die Neubesetzung der Stellen nachzudenken.
Dies, sagt Ewald Schulte, Mitglied des Redaktionsausschusses, sei von der Redaktion "mit lähmendem Entsetzen zur Kenntnis genommen" worden. Die Teilnehmer der Konferenz seien "konsterniert" gewesen. Einem anderen Redakteur zufolge habe ein Teil der Belegschaft die Konferenz vorzeitig verlassen, einige Mitarbeiter seien in Tränen ausgebrochen.
Etwa ein Dutzend Stellen wurden frei und nicht wieder besetzt, seit Montgomery die Zeitung gekauft hatte und Depenbrock Chef geworden war. Stellen im Sport-, Wirtschafts- und Medienressort sind unbesetzt, die Ressortleiter der Seite 4 verließen das Blatt ebenfalls. Die Befürchtung der Redaktion, es würde unter dem neuen Eigner Montgomery zu Entlassungen kommen, hat sich zwar nicht bewahrheitet. Pauschalisten und langjährige freie Mitarbeiter wurden unter Depenbrock sogar mit "vernünftigen Arbeitsverträgen" ausgestattet, wie Schulte sagt. Doch der freiwillige Exodus geht weiter, die Zeitung entsteht mit immer weniger Personal. Redakteure, deren Namen eng mit der Zeitung verbunden sind, haben das Blatt verlassen oder werden 2008 gehen - auch Schulte.
"Wenn eine Zeitung eine gute Perspektive hat, überlegt man sich gut, ob man sie verlässt", sagt ein Redakteur. "Die überragende Meinung ist aber, dass sie keine gute Perspektive hat." Von schleichenden Prozessen ist die Rede, "und es geht nicht aufwärts, sondern abwärts."
Nicht erst nun sehen sich viele Redakteure als unfreiwillige Erfüllungsgehilfen einer Renditevorstellung des Mecom-Konzerns, die 2007 bei etwa 14 Prozent gelegen haben dürfte und 2008 bei mindestens 18 Prozent liegt. Doch die gestrige Nachricht, dass weitere Sparmaßnahmen bevorstünden, hat nun Konsequenzen: Als Reaktion auf die Nachricht kam die Redaktion am Nachmittag zusammen und beschloss, Chefredakteur Depenbrock, der - was der Redaktion seit Monaten schwer im Magen liegt - eben auch Geschäftsführer ist, das Misstrauen auszusprechen. Briefe an Depenbrock und an die Mecom-Spitze wurden aufgesetzt. Zur gleichen Zeit ruderte Depenbrock zurück und kündigte an, vier freie Stellen würden nun doch neu besetzt, drei davon extern. Die betroffene Reaktion der Redaktion habe den Ausschlag dafür gegeben, heißt es. Depenbrock habe sie richtig gedeutet: Das Fass läuft über.
Seit langem fordert die Redaktion, Depenbrock solle einen seiner Posten abgeben; man könne nicht die Interessen einer Redaktion vertreten, wenn man zugleich Geschäftsführer sei. Zudem verstoße die Doppelrolle gegen das Redaktionsstatut, das die strikte Trennung von Verlag und Redaktion vorsehe. Depenbrock hat sich bislang hartnäckig geweigert. Spätestens jetzt aber ist er schwer angeschlagen.
2006, als er als Chefredakteur antrat, ohne dass der Redaktion ein Mitspracherecht eingeräumt worden war, hatte die protestiert, indem sie eine nur zwölf Seiten starke Ausgabe produzierte. Sie schrieb von ihrer "Sorge über die Zukunft unserer Zeitung" und ihre journalistische "Qualität und Unabhängigkeit". In den Augen vieler Redakteure hat sich diese Sorge bewahrheitet. Mittlerweile lautet die zum Teil harsche Kritik an Depenbrock, er sei nicht Journalist, sondern Unternehmer, "auch wenn er das Gegenteil behauptet". Die "Glaubwürdigkeit des Chefredakteurs hat bei vielen stark gelitten", sagt Ewald Schulte.
Hinter dem Konflikt mit Depenbrock, der das Verbindungsglied zwischen der Redaktion und Mecom ist, stehen die Renditeerwartungen des britischen Unternehmens. Im Januar war der Börsenkurs von Mecom dramatisch eingebrochen. In einer Pressemitteilung, die Mecom herausgab, hatte der Konzern - ein rein handwerkliches Versäumnis - verschwiegen, dass er die kartellrechtliche Auflage bekommen habe, eine niederländische Zeitung zu verkaufen. Analysten hätten sich daraufhin "veralbert" gefühlt, wie es heißt - und der Kurs fiel. Diesen Kommunikationsfehler müssten nun die Mitarbeiter des ganzen Konzerns ausbaden, heißt es aus Berlin.
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