Krach in Berlins Szenevierteln: Grüne gegen Ballermänner
Nach Tempelhof-Schöneberg will auch der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Verbot neuer Gaststätten an Partymeilen prüfen.
Nur noch Kneipen, aber kein Kaufladen mehr? Nachdem der Bezirk Tempelhof-Schöneberg im September erstmals zwei Anträge auf Genehmigung einer Gaststätte mit dem Hinweis auf die so genannte Baunutzungsverordnung abgelehnt hatte, will nun Friedrichshain-Kreuzberg nachziehen. Damit will der grüne Stadtentwicklungsstadtrat Hans Pannhoff eine „Ballermannisierung“ verhindern.
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg war skeptisch gewesen, als die grüne Stadtentwicklungsstadträtin von Tempelhof-Schönefeld, Sibyll Klotz, den Paragraf 15 der Baunutzungsverordnung aus dem Hut gezaubert hatte. Der besagt, dass eine Umnutzung von Wohn- und Gewerbeflächen versagt werden könne, wenn der Charakter eines Wohngebiets gefährdet sei. Vor allem die Maaßenstraße, für die die beiden Anträge abgelehnt wurden, sei „mit Gastronomie überversorgt“, hatte Klotz argumentiert.
Der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, hingegen gab zu bedenken, dass die Gewerbefreiheit ein hohes Gut sei. Auch Pankows Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) winkte ab. „Inzwischen hat aber auch in unserem Bezirk ein Umdenken eingesetzt“, sagt Hans Panhoff der taz. „Wenn die Möglochkeit besteht, etwas zu bremsen, dann muss man alle Möglichkeiten ausschöpfen.“
15.389 gastronomische Einrichtungen in Berlin hat die IHK im September 2012 gezählt. Die größte Kneipendichte gibt es in Friedrichshain in der Simon-Dach-Straße, in Kreuzberg in der Falckenstein- und der Schlesischen Straße und in Prenzlauer Berg zwischen Kollwitzstraße und Wasserturm. Auch die Maaßenstraße in Schöneberg ist eine Hochburg .
Neue Kneipen können laut Baunutzungsverordnung untersagt werden. In Paragraf 15 heißt es, diese seien "unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen ausgesetzt werden". (taz)
Vor allem die Schlesische Straße und die Falkensteinstraße in Kreuzberg sind den grünen Bezirkspolitikern in dieser Hinsicht aufgefallen. „Die Gastronomie ist da die Preistreiberin“, so Panhoff. Ausschlaggebend sei das Ende eines Farbenladens in der Falkensteinstraße gewesen: „Farben Sachse“ musste nach 110 Jahren aufgeben, weil er die Mieterhöhung von 8,20 auf 19 Euro pro Quadratmeter nicht zahlen konnte.
Einen Antrag der Grünen auf Anwendung des Paragraf 15 der Baunutzungsverordnung wird am heutigen Donnerstag im Wirtschaftsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beraten. „Wir gehen davon aus, dass wir die Mehrheit bekommen“, sagt Julian Schwarze, grüner Vorsitzender des Ausschusses. „Wenn nächste Woche auch der Stadtentwicklungsausschuss zustimmt, muss das Bezirksamt handeln.“ Schwarze verweist auf die positive Wirkung des Paragrafen in der Maaßenstraße: Dort hätten die Eigentümer nicht gegen das Verbot geklagt: „Das hat also eine abschreckende Wirkung“. Inzwischen würden auch die Linken den Antrag unterstützen.
Grund für den grünen Optimismus bietet ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 28. Juli 2011. Dort hatten die Richter eine Baugenehmigung für ein griechisches Bistro gekippt, weil es gegen das „nachbarschützende Rücksichtnahmegebot“ verstoße. Zur Begründung gaben die Richter an: „In der unmittelbaren Umgebung des Grundstücks seien im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bereits neun weitere Schankwirtschaften auf einer Straßenlänge von ca. 170 m genehmigt gewesen.“ Damit sei der Charakter eines Wohngebiets „nicht mehr in Einklang zu bringen“. (AZ: 1a10058/11)
„Was ist unzumutbar?“, fragt dagegen Jens-Holger Kirchner. Der grüne Stadtrat aus Pankow bleibt skeptisch. „Ich würde da zu mehr Gelassenheit raten“, sagt er. „Die Konzentration von Gastronomie kommt, und dann geht sie auch wieder.“ In Pankow habe es deshalb bislang kein Kneipenverbot gegeben.
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