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Kosten müssen selbst bezahlt werdenBehinderte als Hartz IV-Empfänger

Wer schwer behindert ist, muss sein Einkommen fast komplett abgeben, wenn er Hilfe beantragt. Die Regierung hatte eine Neuregelung versprochen.

Behindert gleich arm? Rollstuhlfahrerin in Stuttgart Bild: ap

BERLIN taz | Die geplante Reform der Eingliederungshilfe für Behinderte steht „offen unter Finanzierungsvorbehalt“. Dies schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag. Ziel sei die „Vermeidung einer neuen Ausgabendynamik“, heißt es in dem Schreiben.

Derzeit leben Menschen mit Behinderungen, die etwa auf eine persönliche Assistenz angewiesen sind, oft in Armut. Sie müssen ihr Einkommen weitgehend abgeben, wenn sie Leistungen beantragen. Auch Ansparungen sind dann nur bis zu einem Betrag von bis zu 2.600 Euro bei Alleinstehenden möglich.

Bekannt geworden ist derzeit etwa der Fall des Jurastudenten Constantin Grosch, der aufgrund einer Muskeldystrophie nur noch seinen Kopf, Finger, Handgelenke und Unterarme bewegen kann. Die 16-Stunden-Begleitung für ihn kostet zwischen 7.000 und 8.000 Euro im Monat. Mit einer Petition „Recht auf Sparen“ hatte Grosch gegen die jetzige Regelung protestiert. Am 19. März hatte er rund 123.000 Unterschriften an den Deutschen Bundestag übergeben.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sah auch aufgrund solcher Proteste eine Reform der Eingliederungshilfe vor. Wie diese Regelung nun den jetzigen Zustand verbessern soll sind, bleibt offen. Es gelte, „im Spannungsverhältnis zwischen dem Möglichen und dem Machbaren die richtige Balance zu wahren“, schreibt die Bundesregierung.

Dies kritisiert die behindertenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katrin Werner: „Menschenrechte wie volle Teilhabe und Selbstbestimmung dürfen nicht unter Kostenvorbehalt stehen.“ Menschen mit Behinderungen werde „nun Armut per Gesetz verordnet“. Dies stehe im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention.

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7 Kommentare

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  • gute Informationen zu den Benachteiligungen schwerstbehinderter Menschen findet man in den Kommentaren von Gisela Maubach bei kobinet: http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/28759/Soziale-Teilhabe-ist-Menschenrecht.htm

  • Bereits 2006 haben wir hier in Neukölln ein Tribunal gegen "Armut und Elend" veranstaltet. Hauptthema war auch damals schon, dass das Schonvermögen im SGB II bei Älteren 10 mal so hoch ist, wie das Schonvermögen im SGB XII (Grundsicherung im Alter und in besonderen Lebenslagen) - das dem Gegenwert eines Kiefernsarges entspricht. Das hat Prinzip: wenn die Rente nicht reicht, muss das Schonvermögen incl. Auto, erst einmal wirtschaftlich sparsam aufgebraucht werden, bevor es ergänzende Grundsicherung gibt. H4 ist und bleibt ein Kleinstvermögenvernichtungspro-gramm.

  • Schön, dass Sie wissen, was ich verstehe. Nur liegt hier das Problem nicht nur darin, dass in der Sozialhilfe herangezogen wird, sondern dass hier eine Verknüpfung zur Reform der Eingliederungshilfe hergestellt wird. Der Personenkreis, der im Artikel herangezogen wird, erhält aber Hilfe zur Pflege. So viel Präzision muss schon sein, wenn man Gesetze ändern will.

  • Die Heranziehung von Einkommen und Vermögen ist eine sozialhilferechtliche Regelung, die für alle Bezieher von Sozialleistungen (SGB II und XII) gilt. Die in den Medien herangezogenen Beispiele beziehen sich auf Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung pflegebedürftig sind und daher Leistungen der Hilfe zur Pflege nach SGB XII erhalten. Sofern sie eigenes Einkommen erzielen, wird dieses Einkommen angerechnet. Diese Regelung zu überprüfen ist mehr als gerechtfertigt - aber es ist eben keine Frage der Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, die in der Regel überhaupt kein eigenes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen. Da darf auch die taz mal selbst recherchieren, bevor sie im mainstream der zumindest ungenauen Berichterstattung untergeht. Knapp daneben ist auch vorbei....

    • @Maxhamburg:

      "aber es ist eben keine Frage der Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, die in der Regel überhaupt kein eigenes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen."

       

      Weshalb sind Sie der Meinung, dass "behinderte Menschen mit Pflegebedarf" kein Einkommen erzielen können? Beides widerspricht sich nicht grundsätzlich.

       

      Assistenz und andere Leistungen zur Eingliederung sind gerade dazu da, um trotz Behinderungen arbeiten gehen zu können und am Sozialleben teilnehmen zu können.

       

      Nicht alle "Behinderten" leben in Pflegeheimen und/oder werden anderweitig in "quasi-Lagern" beschäftigt.

    • @Maxhamburg:

      Ich glaube, Sie haben das Problem nicht verstanden: Menschen mit Behinderung, die auf Assistenz angewiesen sind, bleiben auf Sozialhilfeniveau, egal wieviel sie arbeiten. Das heisst nicht nur, dass der Arbeitsanreiz schlicht fehlt, es bedeutet obendrein, dass sie die Mehrkosten, die ihre Behinderung an anderen Stellen verursachen kann, ebenfalls nicht ausgleichen können, da ihnen das Geld dazu fehlt. Sie werden damit sehr wohl gegenüber der Bevölkerung ohne Behinderung schlechter gestellt, denn die Sozialhilfe ist eine Überbrückungshilfe und immer nachrangig zu verstehen. Das heisst: sie ist für Menschen da, die kurzzeitig in die Breduille kamen. Das sind Menschen mit Behinderung aber nicht. Sie werden qua Einschränkung zu Bedürftigen gemacht. Das widerspricht ebenfalls der UN-Behindertenrechtskonvention, die die BRD schon vor Jahren ratifiziert hat.

  • A
    aurorua

    Ein Skandal gegen die Menschenwürde jagt den nächsten und wird seit Jahrzehnten von denen die eigentlich dazu da sind jedem Bürger die Einhaltung der Verfassung zu garantieren, und dies auch noch per Amtseid beschwören, schlicht und ergreifend ignoriert. Nicht umsonst hat der sogenannte Amtseid von Anfang an keine Rechtsverbindlichkeit. Immer wenn es um Kosten für Minderheiten geht die arm sind zumeist auch noch krank kommt der Kostenvorbehalt. Minderheiten jedoch die sich an Kapitalmärkten bewußt in betrügerischer Weise persönlich exorbitant bereichern, auch auf die Gefahr hin das ganze Nationalstaaten ins Wanken geraten werden mit Milliarden, auf Rechnung kommender Generationen, ohne wenn und aber gefüttert. Jeder gesunde Menschenverstand muss sich da doch Fragen steht hier Korruption oder einfach nur Dummheit im Raum. So oder so, solche Volksvertreter brauchen wir nicht!

    Seit Jahrzehnten ist auch zu beobachten, dass Verfassungsbeschwerden von Armen und Kranken die bei Erfolg kostenintensiv wären, als unbegründet abgewiesen werden. Auch Erwerbsminderungsrentner und Armutsrentner werden monetär mit ALG II Empfängern gleichgestellt. Dies bedeutet i.d.R. jämmerliche Armut bis zum Ableben.

    Nehmen sie sich einige Minuten Zeit und erforschen sie folgende Petition:

    https://www.openpetition.de/petition/online/buergerversicherung-altersversorgung-solidarisch-und-gerecht