Kosovos Präsident vor Gericht: Anklage gegen Thaçi
Dem ehemaligen UÇK-Chef und neun seiner Mitstreiter werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt.
Das Gericht, das in Den Haag tagt und schon vor vier Jahren seine Tätigkeit aufgenommen hat, setzt sich aus kosovarischen und internationalen Richtern zusammen. Es soll sich mit Verbrechen im Rahmen der ehemaligen Führungsspitze der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) befassen. Bisher hatte das Gericht Stillschweigen über mögliche Anklagen bewahrt.
Thaçi und die anderen Angeklagten seien für fast 100 Morde verantwortlich, heißt es in der Anklageschrift. Außerdem würden ihnen Kriegsverbrechen, Folter, Verfolgung und gewaltsames Verschwindenlassen von missliebigen Personen vorgeworfen. Und last not least: Die Angeklagten sollen in den vergangenen Jahren die Tätigkeit des Gerichts behindert haben.
Das Gericht tagt aus Sicherheitsgründen in Den Haag, dem Sitz des ehemaligen UN-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Wegen seiner scheinbaren Untätigkeit wurde es in der Öffentlichkeit schon totgesagt.
Vorwurf Organhandel
Anlass für die Anklage gegen Hashim Thaçi gaben vor allem die Recherchen des Schweizer Juristen Dick Marty, der als Sonderberichterstatter des Europarats 2010 Vorwürfe wegen Organhandels gegen die UÇK erhoben hatte. Sein Bericht mündete in der Gründung des Sondergerichts 2016.
In einem Exklusivgespräch mit dem kosovarischen TV-Sender RTK erklärte Marty vor Jahren jedoch, dass in seinem Bericht „nirgends von einer direkten Verwicklung Thaçis in den Organhandel die Rede“ sei. An dem Verbrechen seien aber Personen beteiligt gewesen, die zum Kreis Thacis gehörten.
Die Organe sollen serbischen und albanischen Gefangenen auf Stützpunkten der Organisation in Nordalbanien entnommen und über den Flughafen Tirana weiter geschickt worden sein. Hinzu kommen noch Verbrechen an mit der UÇK konkurrienden Gruppen des albanischen Widerstands wie der Militärorganisation FARK während und nach dem Krieg 1998/99. Zudem werden der UÇK Verbrechen an Serben, Roma und Vertretern der Minderheit der Ashkali sowie Oppositionellen zur Last gelegt.
Die Anklage kommt für Thaçi zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Denn am 27. Juni sollten er und der serbische Minsisterpräsdient Aleksandar Vučić im Weißen Haus mit Beteiligung von US-Präsident Donald Trump ein Friedensabkommen zwischen Serbien und Kosovo auf den Weg bringen.
Verhandler der EU waren ausgeschlossen worden. Nach bisherigen Informationen sollte dabei ein Gebietsaustausch zwischen Kosovo und Serbien beschlossen werden. Diesen lehnen sowohl die EU als auch die Mehrheit der Kosovobevölkeurung, viele Serben und die orthodoxe Kirche strikt ab.
Nach der Anklageerhebung des Sondergerichts ist dieses Treffen in Washington nun wohl geplatzt. Stellungnahmen aus dem Umkreis Thaçis waren am frühen Abend noch nicht zu erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei