piwik no script img

■ Kosovo: Rot-Grün sollte eine internationale Mission unterstützenEine humanitäre Katastrophe droht

Am Montag erklärte Milošević den „Sieg über den albanischen Terrorismus im Kosovo“ und kündigte den Rückzug der„Sicherheitskräfte“ in die Kasernen an. Gleichzeitig gingen die Angriffe serbischer Artillerie- und Panzerverbände auf die albanische Zivilbevölkerung weiter.

Doch selbst wenn Milošević die Angriffe in den nächsten Tagen tatsächlich einstellen sollte, bleibt ein Problem. Die rund 300.000 Vertriebenen werden nach den Erfahrungen der letzten Monate den Versprechen nicht trauen. Sie werden sich weder in die zerstörten Dörfer zurückwagen noch in die zwölf „humanitären Versorgungszentren“ unter Bewachung serbischer „Sicherheitskräfte“, die Belgrad inzwischen im Kosovo eingerichtet hat. Zehntausende Albaner, die sich weiterhin in den Wäldern versteckt halten, droht in den kommenden Wochen der Hunger- und Kältetod. Diese humanitäre Katastrophe zeichnete sich spätestens seit Juni ab. Doch das politische Bonn, seit Jahresbeginn auf den Wahlkampf fixiert, erwies sich bislang als handlungsunfähig.

Kanzler Kohl war am Kosovo weitgehend uninteressiert. Und Verteidigungsminister Volker Rühe instrumentalisierte das Thema, um sich mit naßforscher Militärrhetorik und Angriffen auf Außenminister Klaus Kinkel als dessen Nachfolger zu profilieren sowie Paranoia vor einer rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik zu erzeugen. Rot-grüne Politiker wiederum nahmen die Wahlkampfsprüche des Verteidigungsministers für bare Münze und setzten sich mit ihren Reaktionen jedesmal erneut seiner Demagogie aus. Außenminister Kinkel dagegen schwieg aus Koalitionsräson zu den Attacken des Verteidigungsministers und versteckte seine vernünftigen Vorstellungen zum Kosovo-Problem vor der Öffentlichkeit.

Die neue Regierung hat die Chance, diese Lähmung der Bonner Politik zu überwinden. Der Versuch, die Katastrophe im Kosovo noch abzuwenden, sollte ihre vorrangigste außenpolitische Aufgabe sein. Es wäre ihr erstes großes Verdienst, sollte dieser Versuch gelingen. Allerdings wartet die Katastrophe nicht, bis das Kabinett Schröder Ende Oktober auch formal die Regierungsgeschäfte übernimmt. Zugleich dürfte die alte Regierung in den ihr verbleibenden knapp vier Wochen, während derer im Kosovo möglicherweise bereits Tausende verhungern und erfrieren, kaum Handlungsfähigkeit zurückgewinnen.

Der künftige Bundeskanzler und die Abgeordneten Verheugen, Fischer, Scharping, Lippelt, Beer und wer immer sonst noch sich bei SPD und Grünen für Außen- und Sicherheitspolitik verantwortlich fühlt, sollten so schnell wie möglich eine gemeinsame Initiative ergreifen: für die Entsendung einer UNO-geführten internationalen Polizeimission in den Kosovo – nicht nur unter ausdrücklicher Zustimmung Moskaus, sondern möglichst mit Beteiligung russischer Truppen. Aufgabe dieser Mission wäre die Befriedung der bewaffneten Auseinandersetzungen, um so die Voraussetzungen zunächst für eine Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen zu schaffen, ihre Rückkehr in die Heimatdörfer zu garantieren und schließlich Verhandlungen über eine politische Lösung des Kosovo-Konflikts voranzutreiben.

Dieses Szenario eines internationalen Engagements ist weit realistischer als alle bisherigen Planspiele der Nato. Im Idealfall erfolgte die Stationierung einer internationalen Polizeitruppe mit vorheriger Zustimmung Belgrads. Aber selbst ohne eine solche Zustimmung wäre trotz aller Belgrader Rabulistik nicht mit militärischem Widerstand der serbischen „Sicherheitskräfte“ zu rechnen – schon gar nicht bei einer Beteiligung russischer Soldaten an der internationalen Polizeimission.

Außenminister Kinkel ist bei Sondierungen über ein ähnliches Szenario unter dem Stichwort „Enklave“ in den letzten Wochen bei mehreren Regierungen – darunter der russischen – auf zustimmendes Interesse gestoßen. Auf diese Vorarbeiten Kinkels könnte eine rot-grüne Initiative zum Kosovo aufbauen und sich zugleich der Unterstützung der künftigen FDP-Opposition bei diesem wichtigen außenpolitischen Thema versichern. Andreas Zumach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen