■ Kosovo (I): Wie die deutsche Politik skeptische Fragen verdrängt: Vorkriegsstimmung
Die Stunde der Not ist nicht der Zeitpunkt für Zweifel, da steht man zusammen. Diese Grundstimmung, die Völker regelmäßig am Vorabend kriegerischer Auseinandersetzungen befällt, kam Regierungen zu allen Zeiten gelegen. Sie erleichtert es, Kritikern mangelndes Verantwortungsgefühl und fehlende Solidarität vorzuwerfen. Früher war auch das Wort Defätismus beliebt. Derlei ist vor allem dann nützlich, wenn sich naheliegende Einwände nicht leicht entkräften lassen. So wie jetzt.
Skeptische Fragen im Blick auf die Folgen der Nato-Angriffe gegen Jugoslawien werden derzeit in verweisendem Tonfall von Bonner Politikern stereotyp damit beantwortet, sie wollten sich nicht an Spekulationen über mögliche Eskalationen beteiligen. Dabei sollte doch genau das die vordringlichste Aufgabe derjenigen sein, die über Krieg und Frieden zu entscheiden haben: darüber nachzudenken, wohin ihre Entscheidungen im schlimmsten Fall führen können.
Die Auswirkungen der Luftschläge lassen sich unter vielen Aspekten heute überhaupt nicht abschätzen, leider auch nicht hinsichtlich dessen, womit der Angriff gerechtfertigt wird. Es ist völlig offen, ob die Nato-Operation die Lage der Bevölkerung im Kosovo verbessern oder weiter verschlechtern wird. Das Militärbündnis verfügt über die Luftüberlegenheit, Jugoslawien über die Hoheit am Boden. Kriege werden nicht allein mit Flugzeugen gewonnen.
Was, wenn Milošević auch weiterhin nicht nachgibt? Was, wenn er unter dem Vorwand der Landesverteidigung den Krieg gegen die eigenen Staatsbürger mit noch größerer Brutalität führt als bisher? Militärs und Diplomaten räumen ein, daß dieses Risiko besteht. Aber es geht der Nato ja inzwischen mindestens ebensosehr um die eigene Glaubwürdigkeit wie um einen Weg aus der Krise im Kosovo. In diese Zwangslage hat sich das Bündnis durch seine martialischen, völkerrechtlich bedenklichen Drohungen selbst gebracht.
Wer den Sinn der Luftangriffe in Zweifel zieht, sieht sich stets mit der empörten Unterstellung konfrontiert, offenbar sei einem das Leid der Bevölkerung im Kosovo ganz gleichgültig. Ob man denn da einfach weiter zusehen wolle.
Auch das ist eine historische Gesetzmäßigkeit: In Vorkriegszeiten müssen sich jene rechtfertigen, die Krieg nicht für die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln halten. In Nachkriegszeiten ist das umgekehrt. Bettina Gaus
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