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Koscheres Essen für ArmeTischlein deck dich in der Synagoge

In Berlin wird koscheres Essen an bedürftige Menschen verteilt. Die Idee dazu hatte Chaim Rozwaski, der Rabbiner der Charlottenburger Lev-Tov-Synagoge.

Ein Keller in Berlin-Charlottenburg, Siegfried Jarosch stopft Gurken, Paprika und tiefgekühltes Fleisch in eine weiße Plastiktüte. Er legt noch ein paar bunte Süßigkeiten dazu, dann stellt er die Tüte neben vier andere. "Ist noch Schokolade da?", fragt er. Nein, die ist schon weg. Es ist erst kurz nach elf, die koschere Tafel hat vor wenigen Minuten geöffnet.

Seit drei Wochen verteilen Jarosch und seine Helfer aus der Synagoge "Lev Tov" jeden Donnerstag Lebensmittel an Bedürftige. Alles, was sie abgeben, ist koscher, "rein" nach den jüdischen Speisegesetzen. Das Fleisch stammt von Tieren, die auf eine besondere Art geschlachtet wurden, Schweinefleisch ist nicht erlaubt. Milch und Fleisch werden getrennt voneinander aufbewahrt. Auf vier Tischen liegen koschere Süßigkeiten und Couscous, H-Milch, Mineralwasser und Brause. In einer Styroporbox lagern koscheres Fleisch und Würste, im offenen Tresen gibt es Kartoffeln, Orangen und frisches Challa, ein Zopfbrot, das traditionell am Sabbat gegessen wird.

Siegfried Jarosch ist 45, ein massiver Mann, sein grünes Hemd und die schwarze Hose spannen über dem Bauch. Er ist aktives Mitglied in der Synagoge und organisiert die Lebensmittelausgabe. Er begrüßt jeden, der die Treppe herunter kommt: "Sabbat Schalom!" Sieben ältere russische Juden packen Gemüse in Tüten. "Wer Enkelkinder hat, nimmt sich Süßes mit", ruft Jarosch. Er tanzt zwischen Gemüsesuppe, Fleisch und Bonbons, jeder soll genug bekommen.

"Jüdische Tafel" hatten sie die Aktion genannt, nach der Tafel-Bewegung, die 1993 in Berlin gegründet wurde. Doch den Namen durften sie nicht behalten - der Begriff ist geschützt. "Im Prinzip finden wir die Idee gut", sagt Annett Böhme von der Berliner Tafel, "aber wir wollen Verwechslungen vermeiden." Die Synagoge könne sich gern der Tafel-Bewegung anschließen, dann müsse sie sich aber auch an die Leitlinien halten.

"Wir kontrollieren nicht, ob jemand einen Hartz-IV-Bescheid hat", sagt Jarosch, "für die Leute ist es schon schwer genug." Die Lebensmittel werden frisch gekauft, finanziert von Spenden aus der Gemeinde. Sie stammen nicht aus dem Überschuss von Supermärkten und Restaurants, wie es die Satzung der "Tafel" vorschreibt. Deswegen heißt die Tafel jetzt "Schulchan Aruch", auf Deutsch: "Der gedeckte Tisch".

10 bis 25 Bedürftige kommen jeden Donnerstag. Eine von ihnen ist Ludmilla, 53, eine runde Frau mit Sonnenbrille im Haar. Sie möchte nicht, dass ihr Nachname in der Zeitung steht. "Ist das koscher?", fragt sie. Dann packt sie ein Stück Fleisch in ihre Tüte. Ludmilla ist Russin, ihr Mann Jude. Sie lebt von 390 Euro Rente, ihr Mann bekommt 210 Euro. Wie fühlt sie sich bei der Tafel? "Armut ist nicht leicht," sagt sie, "aber die Leute sind nett hier, das macht die Sache ein bisschen besser."

Die Idee zum "Gedeckten Tisch" stammt nicht von Jarosch: "Ich bin nur Mittäter, er ist der Vordenker." Er, das ist Chaim Rozwaski, 73, der Rabbiner der Lev-Tov-Synagoge. Rozwaski trägt Nadelstreifen, Strohhut und Vollbart, ein bisschen sieht er aus wie Hemingway. Er weiß, was es heißt, zu hungern, als Kind hat er den Holocaust überlebt. "Es ist ein Skandal der westlichen Zivilisation, dass es Obdachlose und Hungernde gibt", sagt er. Den Anteil der Bedürftigen unter den mehr als 12.000 Berliner Juden schätzt er ähnlich hoch wie in der sonstigen Bevölkerung. Rozwaski sieht in Armut keinen Grund zur Scham, manchmal sei es sogar ein Segen, arm zu sein - und Reichtum ein Fluch. Dann erinnert er sich an Kennedy, der den Traum hatte, jemanden zum Mond zu schicken. "Das hat er geschafft", sagt der Rabbiner. "Aber es ist doch viel leichter, Menschen gut zu versorgen, als jemanden zum Mond zu schicken."

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