Korruption in Österreich: Innenminister ist rücktrittsreif
Das Oberlandesgericht Wien befindet eine Razzia beim Bundesamt für Verfassungsschutz für rechtswidrig. Jetzt wird es eng ziemlich für Herbert Kickl.
Man erinnert sich: Auf Drängen des Innenministeriums hatte ein Staatsanwalt eine Hausdurchsuchung bei dem dem Innenministerium unterstehenden Geheimdienst BVT angeordnet. 80 Mann der Einsatzgruppe gegen Straßenkriminalität der österreichischen Bundespolizei stürmten das Gebäude und beschlagnahmten zentnerweise Akten, Festplatten und andere Datenträger.
Kickl hatte das ungewöhnliche Vorgehen damals mit „dringendem Tatverdacht“ gerechtfertigt. BVT-Chef Peter Gridling wurde suspendiert. Das Oberlandesgericht befindet jetzt, man habe „zu nicht verhältnismäßigen“ Mitteln gegriffen. Auf ein schlichtes Ersuchen um Amtshilfe hätte das BVT die Akten auch herausgeben müssen.
Die Vorwürfe sind inhaltlich relativ banal: es geht um nicht gelöschte Informationen über ehemals unter Beobachtung stehende Personen, darunter der Anwalt Gabriel Lansky und die Grünen-Politikerin Sigrid Maurer, und um nordkoreanische Blanko-Pässe, die an die südkoreanischen Behörden weitergegeben worden seien.
Dünne Verdachtslage
Keine Affäre, die eine Rambo-Aktion im Stil von Hollywood gerechtfertigt hätte. Deswegen vermuteten Kritiker gleich, dass es sich in Wahrheit um den Beginn einer „Umfärbeaktion“ der ehemals „schwarzen“ Behörde durch den „blauen“ Innenminister handelte. Außerdem wurde ein Rechtsextremismus-Dossier beschlagnahmt.
Wie dünn die Verdachtslage gegen die Beamten war, hat sich schon nach wenigen Wochen gezeigt: Peter Gridling ist längst rehabilitiert und musste von Kickl wieder auf seinem Posten installiert werden. Auch sonst dürften die Ermittlungen nicht sonderlich erfolgreich gewesen sein. Die Anwälte gehen jedenfalls davon aus, dass ihre Mandanten unbeschädigt aus der Affäre hervorgehen werden.
Der Sturm auf das BVT hat auch die internationale Geheimdienst-Community aufgescheucht. So zitiert die Washington Post vom 17. August einen anonymen europäischen Geheimdienstler, der das BVT im Chaos sieht: „Wie kann man in so einer Umgebung arbeiten?“ Westliche Geheimdienste würden ihre vertraulichen Erkenntnisse nicht mehr mit Österreich teilen.
Kickl bestreitet das und wollte in einer ersten Stellungnahme zum OLG-Spruch kein Fehlverhalten entdecken. Vielmehr schob er den Schwarzen Peter Justizminister Josef Moser (ÖVP) zu, schließlich seien es eine Staatsanwältin und ein Untersuchungsrichter gewesen, die die Razzia genehmigt hätten.
Großer Druck
Formal ist das richtig. Moser will allerdings prüfen lassen, welchen Einfluss der Ermittlungsdruck gehabt habe. Dazu gibt es einen konkreten Hinweis, nämlich die vom Oberlandesgericht in seiner Begründung veröffentlichte Aktennotiz der Staatsanwältin, wonach Peter Goldgruber, Generalsekretär des Innenministeriums, großen Druck gemacht habe. Er habe von einem Auftrag Kickls gesprochen, das Innenministerium sei „aufzuräumen“ weil es „derzeit so korrupt wie noch nie“ sei.
Die Oppositionsparteien SPÖ, Neos und Liste Pilz nutzten den ersten wirklich großen Skandal der Rechtsregierung von Sebastian Kurz (ÖVP), um eine Sondersitzung des Parlaments zu beantragen, bei der sie auch einen Mißtrauensantrag gegen Minister Kickl einbringen wollen. Der hat zwar angesichts der Regierungsmehrheit keine Chance, doch nächste Woche beginnt auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der sich mit der BVT-Affäre befassen wird.
Dass das Innenministerium Einiges zu verbergen hat, lässt sich aus den unvollständig gelieferten und teilweise geschwärzten Akten schließen. Die Oppositionsparteien sprechen von einem Skandal und wollen die komplette Auslieferung der relevanten Unterlagen beim Verfassungsgerichtshof erstreiten. Gut möglich, dass „der beste Innenminister der Zweiten Republik“ den U-Ausschuss politisch nicht überlebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich