Norwegens Außenministerin entlassen: Huitfeldt fällt über Aktienskandal
Norwegens Regierung entlässt Außenministerin Huitfeldt. Der Druck auf Oppositionsführerin Solberg steigt, sie steckt in einer ähnlichen Affäre.
Offenbar in dem Bemühen, der ganzen Affäre etwas die Dramatik zu nehmen, packte der sozialdemokratische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre ihren Hinauswurf in eine umfassendere Kabinettsumbildung: Die Regierung erhielt fünf neue MinisterInnen.
Freiwillig war Huitfeldts Rücktritt nicht. Noch vor ein paar Tagen hatte sie versichert, für einen solchen Schritt überhaupt keine Veranlassung zu sehen. Doch die Vermengung von Amtspflichten und privaten finanziellen Interessen ließen Gahr Støre keine andere Wahl. Huitfeldt hatte sich an einigen Regierungsentscheidungen beteiligt, obwohl sie eigentlich befangen war. Auch wenn es nicht ihre eigenen Börsengeschäfte waren, sondern die ihres Ehemanns.
Huitfeldts Ehemann Ola Flem hatte auch nach deren Amtsantritt im Oktober 2021 mit Aktien von Firmen der Zuchtlachsbranche und des Waffenkonzerns Kongsberg gehandelt. Firmen, deren Geschäfte stark von Regierungsentscheidungen betroffen waren. Das gilt vor allem für neue Waffenbestellungen und Militärhilfe für die Ukraine, von denen Kongsberg profitierte.
Erna Solberg sitzt noch tiefer im Schlamassel
„Ich habe gegen meine Pflichten verstoßen“, gestand Huitfeldt, nachdem Medien erste Fragen gestellt hatten: Ja, sie hätte ihre Befangenheit anmelden müssen. Was die Stellung der Sozialdemokratin letztendlich unhaltbar gemacht hatte, war aber, dass sie nicht gleich alle Karten auf den Tisch gelegt hatte, sondern nur scheibchenweise mit der Wahrheit herausgerückt war.
Sie warf ihrem Mann vor, sie über Umfang und Einzelheiten seiner Geschäfte im Unklaren gehalten zu haben, wobei sie aber zunächst verschwieg, dass die Staatskanzlei dringend empfohlen hatte, der solle diesen Handel ganz sein lassen, solange sie Kabinettsmitglied sei.
Gahr Støre verteidigte seine Außenministerin zunächst. Obwohl sie Fehler gemacht habe, beteuerte er, weiterhin Vertrauen zu haben. Die 53-jährige Huitfeldt hat starken Rückhalt in der Partei und den Gewerkschaften. Sie hatte sich in den vergangenen 15 Jahren auf unterschiedlichen Kabinettsposten bewährt und wurde bereits als Gahr Støres mögliche Nachfolgerin gehandelt.
Wenn der Regierungschef seine Ministerin nun doch opfert, so wittern Medien einen Zusammenhang mit der Aktienaffäre Erna Solbergs. Die Ex-Ministerpräsidentin und Vorsitzende der konservativen Høyre steckt noch wesentlich tiefer in einem Aktienskandal.
Medien wittern politisches Kalkül
Bislang hatten sich die Sozialdemokraten „angesichts des größten politischen Skandals, der die Hauptwidersacherin getroffen hat“, auffallend zurückgehalten, wie die Zeitung Dagbladet schreibt, weil man mit Huitfeldt eben im Glashaus saß. Jetzt will man offenbar den Rücken freihaben, bevor sich Anfang November ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit den Affären Huitfeldt und Solberg befassen wird.
Vermutlich hofft die Regierungspartei, dass mit den Konsequenzen, die sie gezogen haben, der Druck auf die oppositionellen Konservativen wächst, sich von ihrer populären Vorsitzenden zu trennen. „Ein leicht zu durchschauender Schachzug“, kommentiert die konservative Zeitung Aftenposten.
„In einem Fall nach dem anderen sind norwegische Politiker beim Betrug ertappt worden und haben versucht, sich und ihre Freunde auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern“, kommentiert hingegen die liberale Bergens Tidende: „Politiker nutzen großzügige Regelungen aus, um sich zu bereichern. Sie werden erwischt – und sie bleiben im Amt. Und dann gibt es noch die üblichen politischen gebrochenen Versprechen. (…) Falls nun jemand fragt, woher die Politikverachtung kommt: Hier liegt die Antwort.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen