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Korrektorat für Deutschland

Dahinter steckt immer ein schlaues Trotzköpfchen: Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kehrt zur alten Rechtschreibung zurück – und beim Axel Springer Verlag überlegt man nachzuziehen. Kippt die Reform fünf Jahre nach ihrer Einführung?

aus Berlin KOLJA MENSING

Nachdem die Frankfurter Allgemeine Zeitung in den vergangenen Wochen eifrig die Buchstabenfolgen im menschlichen Genom publizistisch entschlüsselt hat, wendet sie sich jetzt wieder der Orthografie und Grammatik des wirklichen Lebens zu.

„In Deutschland weiß keiner mehr, wie man richtig schreibt“, stellte Literaturchef Thomas Steinfeld am Mittwoch im Feuilleton der Zeitung fest. Und am Donnerstag durfte er sich dann in einem Kommentar auf der ersten Seite noch einmal über die „tausend privaten Orthographien“ ärgern, die in diesem Lande mit der Anwendung der Reform aufgeblüht seien.

Bemerkenswert an dem Vorstoß der FAZ ist nicht allein, dass man in Frankfurt die „Einheit der Orthographie“ für „eine der zentralen Errungenschaften der Schriftkultur hält“ – den Duden also offensichtlich für wichtiger als die „Odyssee“, die Bibel und die eigene Zeitung zusammen.

Schön ist, dass man sich obendrein vorgenommen hat, noch ein bisschen mehr Verwirrung zu stiften: Zum 1. August dieses Jahres wird die „Zeitung für Deutschland“ ihre vor dem „skandalösen“ Entschluss der Kultusministerkonferenz zur Rechtschreibreform gedrucken Duden wieder hervorholen – und zur alten Rechtschreibung zurückkehren.

Die deutschen ZeitungsleserInnen (und vor allem die LeserbriefschreiberInnen) haben ein hartes Jahr hinter sich. Nachdem die Rechtschreibrefom 1995 beschlossen worden war, hatten im vergangenen Jahr die deutschen Nachrichtenagenturen und Zeitungen ihre Orthografie mal mehr und mal weniger angepasst. Das „dass“ mit Eszett wird man natürlich nirgends mehr finden. Aber in der FAZ hatte man sich zum Beispiel vorbehalten, Hauptsätze pflichtgemäß und nicht optional weiterhin mit Kommata zu trennen und auch zum Beispiel die Orthografie lieber „Orthographie“ zu schreiben.

Warum auch nicht? Zur Reformschreibung von Amts wegen verpflichtet sind nur Lehrer und Schüler, gemeinsam mit den Beamten und Angestellten in den deutschen Behörden. Für sie sind die Regeln, die von der Rechtschreibkommission der Kultusministerkonferenz und der Dudenredaktion erarbeitet wurden, verbindlich.

Nachdem allerdings in den vergangenen Tagen die Welt Gerüchte kolportiert hatte, mit dem Erscheinen der 22. Auflage des Duden würden am 25. August Teile eben genau jenes reformierten Rechtschreibregelwerks stillschweigend wieder zurückgenommen, war die Diskussion entbrannt: Kommt die Reform der Reform? Kommission und Dudenredaktion dementierten: „Die neuen Regeln werden im neuen Duden nicht geändert, sondern nur noch benutzerfreundlicher umgesetzt.“

Es half nichts. Nach der Diskussionsvorlage der Welt entschloss sich die FAZ zum Handeln. Was zunächst wie eine neue lustige Idee der konservativen Frankfurter Frakturguerilla aussieht, scheint sich allerdings zu der früher eher von Linken bevorzugten Taktik der kulturellen Hegemonie auszuwachsen: Erst schreibt die nur „Zeitung für Deutschland“ „nichts sagend“ wieder „nichtssagend“ – und dann das ganze Land!

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hält die Frankfurter Offensive schon mal für ein „positives Signal“, Sprachwissenschaftler sprechen davon, dass die Rechtschreibreform gescheitert sei. Und die Chefredakteure des Axel Springer Verlags zumindest treffen sich heute zu einer Konferenz, auf der sie entscheiden werden, ob in Bild, Welt und all ihren anderen Zeitungen und Zeitschriften demnächst wieder altdeutsch geschrieben wird. Die taz wird sich auf jeden Fall weiterhin an den reformierten Duden halten.

Sollte die FAZ auf dem Feld der kulturellen Hegemonie erfolglos bleiben und Deutschland sich weiterhin nach dem Duden und nicht nach einer Zeitung richten, kann das traditionsreiche Unternehmen seine Offensive immer noch zu einer neuen Werbekampagne umbiegen: „Dahinter steckt immer ein Trotzköpfchen!“

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