Konzern plant Kohlekraftwerk: Dreckschleuder vor Gericht
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg verhandelt die Klage von Umweltverbänden und einer Anwohnerin gegen ein Kohlekraftwerk von Dow Chemical bei Stade.
Wird in Norddeutschland noch einmal ein Kohlekraftwerk gebaut? Diese Frage ist am Dienstag vor dem niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg verhandelt worden. Umweltverbände unter der Führung des BUND Niedersachsen haben gegen einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan der Stadt Stade geklagt, der es dem Konzern Dow Chemical erlauben würde, ein solches Kraftwerk zu bauen. Ein Urteil wird am Mittwoch erwartet.
Dow ist mit 1.300 Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Region, die, was Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen angeht, vor 15 Jahren bereits die Abschaltung eines Atomkraftwerks verkraften musste.
Die Umweltverbände kritisieren vor allem, dass ein neues Kohlekraftwerk die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung konterkarieren würde. Bei einer Laufzeit von über 40 Jahren würde das Kohlekraftwerk noch über Jahrzehnte Kohlendioxid (CO2) ausstoßen, sagt der BUND-Landesvorsitzende Heiner Baumgarten. „Das ist ein völlig falscher Weg.“
Die Kläger fechten den Bebauungsplan formell und inhaltlich an: „Unser Hauptargument sind die CO2-Emissionen, aber das ist nicht wirklich justiziabel“, sagt Silke Hemke, Sprecherin des BUND-Kreisverbandes Stade. Die Kläger setzen deshalb auf das Argument, dass das regionale Raumordnungsprogramm auf dem Baugrundstück „hafenorientierte wirtschaftliche Anlagen“ vorsieht und nicht ein Kraftwerk wie auf einem benachbarten Plangebiet.
Dow Chemical produziert seit 1972 in Stade.
In zehn Anlagen auf 550 Hektar Fläche stellt die Chemiefabrik jährlich drei Millionen Grund- und Spezialitätenchemikalien her, darunter Chlor, Natronlauge und Wasserstoff.
Zur Versorgung mit Strom und Prozessdampf hat die Fabrik ein eigenes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk.
Zur Stromversorgung reicht das nicht aus und ist Dow zu teuer. Deshalb will Dow für 1,2 Milliarden Euro ein weiteres Kraftwerk bauen, das vor allem mit Steinkohle betrieben wird.
Das Kraftwerk soll 1.000 Megawatt elektrische und 300 Megawatt thermische Leistung haben.
Christian Schmidt, der Sprecher des Kreises, weist darauf hin, dass sich die Stadt ihre Bebauungspläne nicht durch den Landkreis genehmigen lassen müsse. Abgesehen davon entspreche der Bebauungsplan nach Auffassung des Kreises „den Zielen der Raumordnung“, nicht zuletzt deswegen, weil das Kraftwerk zur Brennstoffversorgung auf den Wasserweg angewiesen sei.
Von der Sache her ist das Kraftwerk nach Auffassung der Kläger nicht mit der Wasserrahmenrichtlinie der EU vereinbar, weil Quecksilber aus den Abgasen in die Elbe geblasen werden würde. Die Richtlinie verbietet es, den Zustand europäischer Gewässer zu verschlechtern.
Mit vier Kilometer Abstand zum Stadtgebiet stünde das Kraftwerk, wie die Kläger befürchten, überdies zu nahe an den nächsten Wohnhäusern. „Wir monieren, dass im Plan der Bereich Lärm nicht genügend abgewogen worden ist“, sagt BUND-Sprecherin Hemke.
Für Dow Chemical ist ein eigenes Kraftwerk in Stade von besonderem Interesse, weil ihre Chemiefabrik an der Elbe allein ein Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms nutzt. „Für das Chemiewerk ist die sichere Versorgung mit Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen unverzichtbar“, heißt es dazu auf der Homepage des Unternehmens. „Nur mit dem Brennstoffmix mit Kohle kann dieses Ziel erreicht werden, da die Kohlevorkommen langfristig verfügbar und weltweit verteilt sind.“
Das Kraftwerk soll nicht nur mit Kohlestaub befeuert werden, sondern auch zu jeweils knapp zehn Prozent mit Holzschnitzeln und Wasserstoff, der im Chemiewerk anfällt. „Technisch gesehen ist es ein integriertes Industriekraftwerk, kein Kohlekraftwerk im engeren Sinne“, sagt Dow-Sprecher Stefan Roth. Besonders effizient soll es dadurch werden, dass es das ganze Jahr über Abwärme an das Chemiewerk liefern kann, sodass es nach Schätzung Dows die im Brennstoff enthaltene Energie zu 55 bis 60 Prozent ausnutzen wird – ein guter Wert.
Aus Sicht der Umweltschützer ginge es freilich mit einem Gaskraftwerk deutlich besser. „Der Rat der Stadt Stade hat der Dow Chemical den roten Teppich ausgerollt und seinen planungsrechtlichen Gestaltungsspielraum nicht im Interesse der Menschen und unserer Umwelt ausgeschöpft“, sagt Udo Paschedag von der Arbeitsgemeinschaft Umweltplanung Niederelbe.
Kai Holm, der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, weist darauf hin, dass das Industriekraftwerk zum Zeitpunkt der Entscheidung vor drei Jahren als sehr verträgliche Lösung erschienen sei. Schließlich seien zunächst drei Kohlekraftwerke in Stade und Brunsbüttel geplant gewesen.
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