Konzepte gegen Wohnungslosigkeit: Das Heimmodell hat ausgedient
Bei der Hilfe für Wohnungslose geht es immer stärker um die Vermittlung in eigene Wohnungen. Vorbild ist das Konzept „Housing First“.
BREMEN taz | Wenn die Räumungsklage kommt, ist es bis zur Obdachlosigkeit nicht mehr weit. In Bremen folgt dem Brief vom Gericht deshalb ein Beratungsangebot der „Zentralen Fachstelle Wohnen“: So können etwa Mietschulden übernommen werden, um einen Wohnungsverlust zu vermeiden.
Die Stelle ist in Bremen auch dafür zuständig, Wohnungslosen ein Obdach zu vermitteln – und dabei geht es verstärkt nicht um Heimplätze, sondern um die eigenen vier Wände. Im Mai hat der Bremer Senat ein Konzept zur „Zukunft der Wohnungslosenpolitik“ beschlossen, wonach die stationären Übergangswohnheime zum Jahreswechsel abgebaut werden sollen.
Angestoßen hat den Paradigmenwechsel auch die grüne Sozialpolitikerin Susanne Wendland: „Wir wollen hin zu eigenem Wohnraum, in dem individuelle Hilfen angeboten werden“, sagt sie. Es gehe um Selbstbestimmung, die in stationären Einrichtungen häufig zu kurz komme. In dem, was sie für Bremen umsetzen will, orientiere sie sich an dem Konzept „Housing First“.
Erst mal wieder in die eigene Wohnung
Das „Housing First“-Konzept folgt der Idee, keine Bedingungen daran zu knüpfen, Obdachlose wieder in eine eigene Wohnung zu vermitteln. Anfang der 1990-Jahre von der Organisation „Pathway to Housing“ in New York entwickelt, war das Konzept gerade auf Menschen mit psychischen Krankheiten und Suchtproblemen ausgerichtet – eben jene, die in einem konventionellen Hilfesystem mehrere Stufen durchlaufen würden, bis ihnen ein eigener Mietvertrag wieder zugetraut würde.
Auf „Trockenübungen“ in Trainingswohnungen wird dabei verzichtet, die Menschen stattdessen besonders intensiv begleitet und ihre Eigenständigkeit akzeptiert – mit großem Erfolg, wie wissenschaftliche Studien belegen. In den USA gilt das Konzept mittlerweile als „best practice“, und auch in Europa und Deutschland wird viel davon geredet.
Für den Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema ist dieser Paradigmenwechsel jedoch noch lange nicht umgesetzt, auch wenn dies vielerorts behauptet werde. Ursprünglich sei etwa in Bremen geplant gewesen, die stationäre Unterkunft umzubauen – in Trainingswohnungen mit verpflichtend zu absolvierenden Trainingsmodulen. „Das genau ist eben nicht ’Housing First‘“, sagt Busch-Geertsema.
Hamburger Stufenformen
Inka Damerau vom Hamburger Bodelschwingh-Haus hingegen ist skeptisch. Auch das Bodelschwingh-Haus bringt Leute in eigenen Wohnungen unter, allerdings erst nach etwa einem Jahr in einer stationären Einrichtung. Um die passende Wohnung zu finden, wird eine „Wohnbiografie“ erstellt und geschaut, wo jemand gelebt hat. Ist etwas Passendes gefunden, so wird die Wohnung zuerst vom Träger angemietet und geht nach einer Zeit intensiver Betreuung an den eigentlichen Mieter über.
„Viele, die von der Straße kommen, formulieren, dass sie diese Sicherheit möchten in einer Struktur“, sagt Damerau. „Und das kann der stationäre Rahmen bieten.“ Es gebe verschiedene Zielgruppen. Freie Wohnungen in Hamburg zu finden, sei allerdings sehr schwierig. „Wir haben gewachsene Kontakte und müssen Klinken putzen“, sagt Damerau. Ein Rezept gebe es nicht.
Das Bielefelder Modell
Einen umfassenden Schwenk hin zur ambulanten Betreuung machte die Stadt Bielefeld. Unter dem Motto „Besser (ist) wohnen“ begann die Stadt 2004, Obdachlose in reguläre Mietwohnungen einzugliedern und dafür Obdachlosenunterkünfte zu schließen. Heute leben weniger als 100 Menschen in der letzten Obdachlosen-Unterkunft – einst waren über 1.000 stationär untergebracht.
„Wir haben die ambulante Betreuung intensiviert und deutlich mehr Sozialarbeiter angestellt“, sagt Bielefelds Sozialdezernent Tim Kähler. Es sei damals durchaus erst mal mehr Geld ausgegeben worden, aber: „Innerhalb von fünf Jahren haben wir eine Million Euro gespart, weil wir die teuren Einrichtungen nicht mehr bezahlen mussten.“ Auch in Bielefeld würden Menschen noch auf der Straßen übernachten. „Aber man muss als Großstadt akzeptieren, dass es Menschen gibt, die diesen Lebensentwurf haben“, sagt Kähler. Im Winter stehe ihnen ein beheizter Raum zur Verfügung: „Die Tür bleibt immer offen.“
Bremer Bündnisse
Schwieriger ist die Lage in Bremen, wo bezahlbarer Wohnraum für ein oder zwei Personen knapp ist. Anfang 2012 gründete sich deshalb ein Aktionsbündnis: „Wohnen ist Menschenrecht“ versammelt Obdachlose und kirchliche Sozialarbeiter, StudentInnen oder Senioren-Vertreter – die sich nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen wollen. Sie fordern, Artikel 14 der Bremer Landesverfassung umzusetzen: „Jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung“, heißt es darin.
Bertholt Reetz sitzt für die Innere Mission beim Aktionsbündnis mit am Tisch. Nur mehr Wohnungen zu bauen, greift für ihn zu kurz. Selbst wenn damit älterer Bestand frei würde, werde der saniert und danach teuer vermietet. „Ich glaube, dass eine bestimmte Schicht immer außen vor bleibt“, so Reetz.
Im Bremer Rathaus rief Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) unterdessen die Wohnungsbau-Unternehmen zu einem eigenen „Bündnis für Wohnen“ zusammen. Wiederbelebt wurde der alte Wohnungsnotstandsvertrag von 1981: Menschen in Not sollen von den Wohnungsgesellschaften bevorzugt angenommen werden – ein Appell an den guten Willen.
Konkreter wird da schon das Wohnungsbau-Förderungsprogramm: Wer städtische Grundstücke bebauen will, muss 25 Prozent Sozialwohnungen anbieten. 40 Millionen Euro stehen dafür bereit, das reicht für 700 Wohnungen. Davon sind 20 Prozent für besonders bedürftige Mieter reserviert: für Obdachlose, Flüchtlinge und Großfamilien.