Kontroverse beim Grünen-Länderrat: Kursfahrt ins Ungefähre
Kretschmann suchte die Wahlkampffehler beim linken Flügel. Aber auch die Realos sprachen nicht einstimmig, wie das Rededuell zwischen Andrae und Göring-Eckardt zeigte.
BERLIN afp | Eine Woche nach der Bundestagswahl haben die Grünen auf einem Länderrat kontrovers über ihren künftigen Kurs diskutiert. Während der bisherige Spitzenkandidat Jürgen Trittin am Samstag in Berlin sozialpolitische Forderungen im Grundsatz verteidigte, forderte die mögliche neue Fraktionschefin Kerstin Andreae grundlegende Korrekturen. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann warb für einen Platz der Partei „in der Mitte der Gesellschaft“.
Der Länderrat beschloss gemäß einem Vorschlag des Vorstands, auf dem Bundesparteitag vom 18. bis 20. Oktober eine neue Parteispitze zu wählen. Die bisherigen Vorstandsmitglieder um das Spitzenduo Cem Özdemir und Claudia Roth hatten ihre Ämter zur Verfügung gestellt, ebenso wie die Fraktionschefs Trittin und Renate Künast. Özdemir will allerdings erneut antreten. Beschlossen wurde auch die Vorbereitung einer Strukturreform, um vor allem grüne Mitglieder von Landesregierungen künftig stärker einzubinden.
Für mögliche Sondierungsgespräche mit der Union wurden neben den derzeitigen Parteivorsitzenden auch Trittin und Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt nominiert. Die Debatte über Schwarz-Grün spielte aber auf dem Länderrat nur am Rande eine Rolle.
Kretschmann warnte angesichts des schwachen 8,4-Prozent-Ergebnisses der Grünen davor, das Thema Verteilungsgerechtigkeit zu stark zu betonen, denn dieses Thema sei von SPD und Linken schon besetzt. „Wir sind in erster Linie dafür da, dass wir unsere ganze Lebensweise mit den Lebensgrundlagen des Planeten in Übereinstimmung bringen“, warb er für eine Rückbesinnung auf Kernkompetenzen in den Bereichen Ökologie und Nachhaltigkeit.
Andreae sagte, Vertrauen zurückgewinnen heiße auch, „Brücken zu den Unternehmen wieder zu schlagen“. Die Wirtschaftsexpertin möchte ebenso wie Göring-Eckardt und der Parteilinke Anton Hofreiter Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag werden. Dabei dürfte es zwischen den beiden Frauen, die dem Realo-Flügel zugerechnet werden, zu einer Kampfabstimmung kommen.
Göring-Eckardt bemühte sich um eine vermittelnde Position. „Wir haben total übersteuert in unserem Wahlkampf“, räumte sie ein. Ökologie müsse „wieder unser Kernthema werden“. Neuanfang dürfe aber auch nicht heißen, „jetzt alles über Bord zu werfen“.
Trittin sagte, die Grünen hätten die Veränderungsbereitschaft der Menschen überschätzt und „die Zahl der Gegner unterschätzt“. Dabei räumte er auch eine persönliche Mitverantwortung ein, lehnte aber maßgebliche inhaltliche Korrekturen ab: „Ich kann mit diesem Grundsatzprogramm prima leben.“
„Wir werden auch in Zukunft unsere Stimme erheben gegen Lohndumping und soziale Ausgrenzung“, verteidigte auch die saarländische Landtagsabgeordnete Simone Peter, die sich um den Bundesvorsitz der Grünen bewirbt, sozialpolitische Forderungen. Die Grünen müssten zudem deutlich machen: „Die eigentliche Bürgerrechts- und Freiheitspartei sind wir.“
Die Politische Geschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, kündigte an, sie wolle nicht erneut für den Parteivorstand kandidieren. Eindringlich warnte sie vor einer Selbstzerfleischung der Partei: „Wenn wir wirklich einen neuen Politikstil pflegen wollen, dann haben wir, glaube ich, flügelübergreifend ein gutes Stück Arbeit vor uns.“ Auch andere Redner warnten vor neuen Flügelkämpfen.
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