Konsumkritik von Reverend Billy: Wir kaufen uns zu Tode
Auf dem Sommerfestival von Kampnagel in Hamburg begeisterte Reverend Billy mit seiner Anti-Konsum-Messe, während der er einer Kreditkarte die bösen Geister austrieb.
Reverend Billy ist nicht zu fassen. Was macht er da? Theater, Gottesdienst, eine politische Kampagne - oder einfach nur eine Musikshow? Alles zusammen, sagte er einmal. Und nichts davon. Die New York Times nannte es kopfschüttelnd und mit einem Unterton von Resignation "The Reverend Billy experience". Zuletzt konnte man das am Wochenende in Hamburg machen bei der Eröffnung des Internationalen Sommerfests von Kampnagel.
Im Zentrum dieser Erfahrung steht, wenn man so will, die Erfahrung als solche. Denn Reverend Billy, der Clown, Poet, Sänger, Prediger und New Yorker Bürgermeisterkandidat der Grünen, weiß erst mal auch nicht mehr als wir. "Democracy is not for sale" und die Gerechtigkeit auch nicht, singt er eingangs der Show. Und erklärt später, dass Geld die Welt regiere; dass dem Menschen im Kapitalismus alles zur Ware werde; dass er mit tausend Fäden an die Warenwelt gebunden sei und folglich fast nicht anders könne, als fortgesetzt zu shoppen: den Krieg in Afghanistan ebenso wie die Zeitung, die, und sei es kritisch, darüber schreibt.
Aber Reverend Billy weiß noch etwas anderes, und zwar, dieses Wissen uns zur Erfahrung werden zu lassen, einschließlich der Hoffnung, es könne alles einmal anders laufen, befeuert auch durch die Finanzkrise.
Seine "Church of stop shopping" hat er deshalb mittlerweile umgetauft. Sie heißt nun "The church of life after shopping". Und Billy gelingt es mit ihr, Kapitalismuskritik und Utopie - Allgegenwart des Konsums und ein Leben nach der "Shopocalypse" - aus dem Reich blasser Abstraktionen herauszuholen und grell, schreiend komisch und in sehr persönlicher Weise auf die Bühne zu bringen.
Zugehörig zur Kirche ist ein Gospelchor, mit dem der selbst ernannte Priester nicht nur auf Festivals und Bühnen, sondern gern auch interventionistisch im öffentlichen Raum auftritt. In den Straßen New Yorks, auf Plätzen, in Parks oder gleich dort, wo sich das Übel verdichtet. Dann gehts in die Filialen der Supermarktketten oder zu einem neu eröffneten Starbucks-Café. Dort sollen mittlerweile Merkblätter an Mitarbeiter verteilt werden, gewissermaßen als Gegenaufklärung: "Was tue ich, wenn Reverend Billy in meinen Laden kommt?"
Nach Hamburg ist Billy in Begleitung von drei singenden "Schwestern" und einer Pianistin gekommen. Er trägt einen weißen Anzug, einen klerikalen Rundkragen unterm Kinn und Schmalzlocke - Elvis als Straßenprediger. Die Schwestern stecken in langen blauen Gewändern und singen sich in Ekstase mit Liedern wie "Do I have a lover, or do I have a logo", eine stimmgewaltiger als die andere.
Auch der Reverend gibt mit seinen 59 Jahren auf der Bühne singend und tanzend einfach alles. Im Verlauf der Messe droht sein Körper einmal sogar regelrecht zu zerreißen. Da treibt er gerade einer Kreditkarte - "that sinful little thing of plastic" - die bösen Geister aus und ringt mit ihnen in epileptischen Zuckungen. Ansonsten verflucht und fleht er, preist und vergibt, "Halleluja" - "Peace-alluja" - "Forgive-alluja". Alles für den Wandel, für die neue Welt: "Change-alluja".
Das Kernstück der Messe ist dann die Predigt des Reverend Billy, die Verkündigung seines Glaubens. Er erzählt dabei auch von den Zweifeln, die ihn immer wieder überkommen. Gibt es das "life after shopping" überhaupt? Aber diese Zweifel währten nicht lange, weil ihm der Himmel dann ein Zeichen sende. So wie neulich, als er in einem Italo-Café einkehrte. Die Männer umarmen sich, die Espressomaschine wird angeworfen, der schwarze Saft weckt die Lebensgeister.
Als Billy aber mit seiner Hand in die Hosentasche fährt, starren ihn die Italiener fassungslos an. Er hat es nicht gerafft, er ist - eingeladen. Er ist herausgepurzelt aus der Warenwirtschaft und eingetaucht in das, was er Gabenwirtschaft ("gift economy") nennt.
Auch der Auftritt Reverend Billys auf Kampnagel ist so eine Gabe. Eine, die nichts kostet, aber den Wunsch weckt, ebenfalls zu geben. Die Zuschauer tun das auf ihre Weise: mit tosendem Applaus. Und dem Schimmer der Hoffnung, der in ihren Augen glänzt. MAXIMILIAN PROBST
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