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Konsum in der LebensmitteDie Marktmacht der Best Ager

Die ab 45-Jährigen sind kaufkräftig und kauffreudig. Aber als Zielgruppe von „Menschen in der Lebensmitte“ angesprochen werden, das wollen sie nicht.

Das Klischee lebt: Best-Ager in Fahrt Foto: Karsten Thielker

Berlin taz | Es klingt viel besser als Lebensmitte, Midlife-Crisis oder gar Wechseljahre: „Best Ager“ nennen Werbetreibende gerne die begehrte Zielgruppe, die bei manchen im Alter von 45 Jahren, bei vielen mit 50 und einigen erst mit 55 beginnt. Ist die Jugend endgültig vorbei, werden Haut und Haare dünner. Viele finden sich körperlich immer weniger anziehend – aber immerhin, die Attraktivität als Kon­su­men­t:in­nen steigt enorm. Werberelevante Gruppe bis 49 war gestern – heute wissen Industrie und Dienstleister um die Kaufkraft und Konsumfreudigkeit der Menschen in der Phase zwischen Jungsein und Altsein. Aber: Als ältere Zielgruppe angesprochen werden wollen diese Leute nicht, wissen Marketingexpert:innen.

Der Kapitalismus hat jede Menge kaufbare Lösungen für das tatsächliche oder vermeintliche Tief in der Phase auf dem Weg ins Dasein als Senior:in. Die Hormonumstellung, die Frauen und ja, auch Männer, ab Mitte ihrer 40er erleben, erscheint als Störung, die behoben werden muss. Unzählige Ratgeber rund um die Lebensmitte geben Tipps, wie Sinnkrisen, Partnerschaftsprobleme oder körperliche Veränderungen bewältigt werden können – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Angehörige.

Bei Amazon gibt es mehr als 4.000 Produktvorschläge für den Begriff „Midlife-Crisis“, vom Ratgeber für Ehepaare mit pubertierenden Ehemännern über eine philosophische Gebrauchsanweisung, Sporttipps und Coachingmethoden für Frauen in der Lebensmitte bis zur „Midlife-Lüge“. Zeitschriften und Internetportale widmen sich dieser Gruppe, empfehlen eine bestimmte Ernährung, Sport oder Pülverchen. Die Kosmetikindustrie hat ganze Produktserien, mit denen die Zielgruppe angeblich die äußerliche Alterung hinauszögern kann.

Coaches, Kliniken und Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen sind spezialisiert auf die Therapie der Midlife-Depression. Wer selbst mit Tropfen, Dragees oder Tabletten echten oder eingeredeten Leiden zu Leibe rücken will, wird heiß umworben. Aber: Die Produktanpreisungen unterschlagen in der Regel, für welche Altersgruppe genau sie gedacht sind.

In Anzeigen und Werbespots machen stets Jüngere Reklame für Produkte, die sich an Best Ager richten. „Die Models in der Werbung sind 15 Jahre jünger als die angesprochene Zielgruppe“, sagt Christian Wulff, Leiter des Geschäftsbereichs Consumer Markets bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Das geht nicht an der Zielgruppe vorbei, im Gegenteil. Im Vergleich zu vorhergehenden Generationen fühlen sich viele Menschen jenseits der 45 heute sehr viel jünger als sie sind.

Entsprechend wollen sie gesehen und gezeigt werden. „Das ist auch ein Resultat der Werbung“, sagt der Experte. Eines wollen die Best Ager, egal ob weiblich, männlich oder divers, auf keinen Fall, weiß Wulff aus Studien: ihrem Alter entsprechend angesprochen werden. Denn das würde ihrem Selbstbild widersprechen – sie finden ja, dass sie viel jünger aussehen.

Vital in der Lebensmitte

Älter werden im 21. Jahrhundert ist anders als in früheren Zeiten. Das hat Folgen für den Konsum. Die Menschen sind heute in der zweiten Lebenshälfte viel aktiver, vitaler und auch kaufkräftiger als ihre Al­ters­ge­nos­s:in­nen es vor 40 oder 50 Jahren waren, sagt Wulff. Sie konsumieren mehr und anders, reisen viel und sind insgesamt mobiler. „Die Emanzipation von Frauen ist ein wesentlicher Treiber des veränderten Konsumverhaltens“, sagt er.

Das gilt zum Beispiel für das Freizeitverhalten. Dass Frauen alleine ausgehen oder reisen, ist heute selbstverständlich. Auch, dass sie selbst Auto fahren. Hilfreiche Haushaltsgeräte, von der Wasch- über die Spülmaschine bis zum Hochleistungsstaubsauger erleichtern den Alltag, und zwar geschlechtsunabhängig. Das Nutzen von Social Media und Smartphone gehört für nahezu alle in der Lebensmitte zum Alltag, beim Konsum nachhaltiger Lebensmittel sind die jüngeren den Älteren allerdings voraus.

Wulff ist davon überzeugt, dass Unternehmen die Best Ager bereits gut erreichen. Das sieht der Marketingexperte Hans-Georg Pompe, Autor des Buches „Marktmacht 50+“, anders. Er ist der Meinung, dass Industrie und Dienstleister das große Potenzial noch nicht im möglichen Maße erschließen. „Das ist ein Goldschatz, der gehoben werden muss“, sagt er. „Ab 50 spielt die Musik.“ Viele Menschen in der Lebensmitte sind sehr gut situiert, auch wenn es gerade unter den Älteren durchaus auch viele Arme gibt – doch die sind für ein gezieltes Marketing weniger interessant. Wer jeden Cent dreimal umdrehen muss, für den oder die ist der Preis entscheidend.

Pompe geht davon aus, dass sich bislang nur jedes fünfte Unternehmen gezielt der solventen Käu­fe­r:in­nen­grup­pe in der zweiten Lebenshälfte widmet. „Dabei ist das eine marktbeherrschende Zielgruppe“, ist er überzeugt. Mehr als 720 Milliarden Euro geben die Best Ager über 50-Jährigen pro Jahr hierzulande für Konsum, Möbel oder Reisen aus, sagt Pumpe. „Diese Gruppe hat eine große Kauflust“, sagt er. Und dabei geht es um weit mehr als um eine Gleitsichtbrille oder rückenschonende Schuhe. Etliche wollen etwas Verrücktes machen, endlich Sehnsuchtsorte besuchen oder sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen, ein Motorrad oder besonders edles Möbelstück kaufen.

Keiner will sich als alt outen. Kein Mensch kauft ein Seniorenprodukt

Hans-Georg Pompe, Marketingexperte

Viele haben Zeit für Konsum, nachdem die Kinder groß sind. Sie sind beständig und ziehen seltener um, sagt der Marketingexperte. Sie suchen nach passenden Dienstleistungen und Produkten – die aber eben keine „altersgerecht“-Zeichen haben sollten. „Keiner will sich als alt outen“, sagt Pompe. „Kein Mensch kauft ein Seniorenprodukt.“

Kritische Käufergruppe

Gleichzeitig wollen die Best Ager durchaus besonders umworben werden. Sie sind eine sehr kritische Käufergruppe, sehen sich als lebenserfahren an und lassen sich nicht gerne abspeisen. Sie möchten, dass ihre individuellen Bedürfnisse gesehen werden. „Die Best Ager sehen sich in der Mitte ihres Lebens und wollen begeistert werden“, sagt er. Das gilt für alle Branchen, ist er überzeugt. Wirklich gut macht das seiner Auffassung nach aber nur die Reisebranche.

Sind die 50+ zufrieden, lassen sie das gerne Familienmitglieder, Nach­ba­r:in­nen oder Freun­d:in­nen wissen. Nicht nur als Konsument:innen, auch als Multiplikatoren sind die Best Ager wichtig, sagt Pompe. „Sie empfehlen ein Produkt oder eine Dienstleistung an drei Seiten weiter“, sagt der Marketingexperte. Kein Wunder, dass sich ursprünglich für Ältere gedachte Produkte schnell allgemein durchsetzen – wie beispielsweise das Hörbuch oder der Rollkoffer. Solche Produkte mögen auch Junge. Manches führt aber auch zur Belastung für alle. Die ex­trem umweltschädlichen SUVs, die für Ältere zum Einsteigen besonders komfortable sind, sind zum Verkaufsschlager für alle geworden und verstopfen Städte und Straßen.

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5 Kommentare

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  • Die Älteren in den Blick zu nehmen, ist durchaus interessant.



    Glücklicherweise muss es dabei nicht nur um Konsum gehen.



    So arbeiten Viele Ältere auch ehrenamtlich.



    In diesem Zusammenhang werden glücklicherweise auch Diejenigen gesellschaftlich mitgenommen, die weniger finanzielle Mittel haben.



    Im Artikel über die altersbezogene Zusammensetzung des BSW wird auch eine politische Ausrichtung auf Ältere angesprochen.



    Die Gesellschaft altert grundsätzlich und die Zahl der älteren, die Ihr aktives Wahlrecht wahrnehmen, ist groß.



    So war die Zahl der WählerInnen 60+ bei der letzten Europawahl mehr als doppelt so groß, als die der bis 30jährigen.



    Es stellt sich also die Frage, ob der Jugendwahn noch zeitgemäß ist.



    Eine entsprechende Umorientierung würde aber die Erkenntnis vorraussetzen, dass man/frau " nicht mehr ganz jung ist".

  • Ich als 50+ schaue nicht fern und nutze Online-Dienste nur mit JavaScript-Blocker. So geht fast 100% der hier beschriebenen Werbung an mir vorbei. Ich bin damit zufrieden und erzähle es allen gerne weiter. Ganz ohne Jugendwahnprodukte und SUV.

  • "Die ab 45-Jährigen sind kaufkräftig und kauffreudig" - und was ist mit denen, die durch Ihr Raster fallen, weil die keinen Job mehr haben, krank sind oder aus anderen Gründen am Konsumrausch nicht teilnehmen können bzw. wollen?

    Vielleicht sollte es besser heißen "Die gut situierten Grünwähler ab 45-Jährig sind kaufkräftig und kauffreudig"

    • @Rossignol:

      Ah, interessanter Kommentar. Was genau hat Ihr Grünenhass mit dem Thema des Artikels zu tun?

  • Gemessen an einer angenommen, bei fortgeschriebenen jetzigen Lebensbedingungen durchschnittlichen Lebenserwartung in Deutschland läge die Lebensmitte bei den Jahrgängen bspw. 1985 (Lebenserwartung ca. 74 Jahre) bei 37 Jahren.[1] Mit der Vollendung ihres 39 Lebensjahres dieses Jahr haben die 1985er die durchschnittliche Lebensmitte/Midliefe bereits überschritten. Würde mensch es wortwörtlich nehmen, wären sie bereits im Alter der 'Midlife-Crisis'. Und je nach Geschlecht und Einkommen wären sie es als Männer bereits früher, als Frauen erst später, als Arme früher, als Reiche später.



    "Die ex­trem umweltschädlichen SUVs, die für Ältere zum Einsteigen besonders komfortable sind, sind zum Verkaufsschlager für alle geworden ... "



    Ja, nanu? Sind die Älteren etwa doch bereits am Schwächeln, dass sie ein höheres Auto brauchen? Und sind die Älteren gar alt? ;D



    [1] de.m.wikipedia.org..._von_1875_bis_2020