Konstantin Nowotny über Kanye West und Adidas: Kranke Welt
Ich bin ein wenig verschlafen heute Nacht, aber sobald ich wach bin, erkläre ich Alarmstufe Gelb in Bezug auf die Juden“ – so in etwa ließe sich ein Tweet Kanye Wests vom 8. Oktober übersetzen, der schon in Originalsprache eher wirr formuliert ist. Wie das verstanden werden kann, was er da schrieb, schien ihm aber bewusst zu sein, denn direkt im Anschluss heißt es: „Das Lustige ist, dass ich eigentlich gar nicht antisemitisch sein kann, weil Schwarze Menschen eigentlich auch Juden sind.“
Es war nicht das erste Mal, dass der Rapper mit antisemitischen Bemerkungen auffiel, und es war nicht das erste Mal, dass er sich im Nachhinein dafür entschuldigte, „falsch verstanden“ worden zu sein. Diesmal nützte das nichts. Nachdem erst die Talentagentur CAA und später das Modelabel Balenciaga verkündeten, die Zusammenarbeit mit dem Künstler einzustellen, stand auch der deutsche Sportartikelhersteller Adidas in der Kritik. West blieb selbstbewusst. Noch am 16. Oktober suggerierte er in einem Interview, „jüdische Zionisten“ kontrollierten die Medien. Er fügte hinzu: „Ich kann antisemitische Sachen sagen, und Adidas kann mich nicht fallen lassen. Was jetzt?“ Das jetzt: Die Kritik wurde lauter, der Zentralrat der Juden forderte von Adidas Konsequenzen. Als sich dann noch der Aktienkurs des Textilherstellers nicht mehr zu erholen schien, stellte Adidas die Kooperation mit West „mit sofortiger Wirkung“ ein – nicht aber, ohne darauf hinzuweisen, dass dem Unternehmen dadurch „bis zu 250 Millionen Euro“ Gewinn entgingen.
Während Adidas um seine Profite trauert, müssen Jüdinnen und Juden in den USA um ihr Leben fürchten: Am Wochenende nach Wests Äußerungen ließen Rechtsextreme auf einer Autobahn in Los Angeles ein Banner mit der Aufschrift „Kanye is right about the Jews“ (frei etwa: „Kanye hat recht mit den Juden“) herab und zeigten den Hitlergruß. In Beverly Hills tauchten in derselben Woche Flyer auf, die unter anderem darstellen sollten, dass die Coronapandemie ein von Juden gesteuertes Projekt sei. Antisemitismus hat immer reale Konsequenzen, egal wie er „gemeint“ ist.
West mag psychisch krank sein. Krank ist aber auch eine Gesellschaft, die Antisemitismus erst sanktioniert, wenn er geschäftsschädigend wird.
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