Konsequenzen: Tödliche Versäumnisse
enat räumt nach tödlicher Messerattacke auf dem Jungfernstieg Fehler ein und beschließt die Überarbeitung des Handlungskonzeptes gegen Jugendgewalt.
Ein Fall, der Schlagzeilen machte: Am 14. Mai tötete der 16-jährige, polizeibekannte Elias A. am S-Bahnhof Jungfernstieg den 19-jährigen Mel D. nach einem Streit. Da der Jugendliche aufgrund zahlreicher Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Erpressung seit August 2009 als Intensivtäter geführt wurde, stellte sich alsbald die Frage, ob das Totschlags-Delikt nicht im Vorfeld hätte verhindert werden können.
Am Dienstag gaben die CDU-Senatoren Dietrich Wersich (Soziales) und Christoph Ahlhaus (Innen) gemeinsam mit ihrem GAL-Kollegen Till Steffen (Justiz) erste Antworten auf diese Fragen: Danach habe es eine Fehleinschätzung über die Gefährlichkeit des Jugendlichen gegeben. Als Konsequenz aus der Gewalttat kündigte das Senatorentrio eine Überarbeitung des Handlungskonzeptes gegen Jugendgewalt an.
Kernpunkte der angedachten Neuregelungen: Alle Institutionen, die mit jugendlichen Straftätern zu tun haben - von der Schule über Jugendämter und Jugendhilfe bis hin zur Polizei -, sollen zukünftig noch enger zusammenarbeiten und sich besser austauschen. So erfahren die Schulleiter wie im Fall von Elias A. heute in aller Regel nichts davon, wenn einer ihrer Schüler außerhalb des Schulgeländes straffällig geworden ist. Zudem kündigte Bildungsstaatsrat Ulrich Vieluf an, die Beratungsstelle Gewaltprävention des Landesinstituts für Lehrerbildung werde demnächst um drei Stellen aufgestockt, um dann die stadtweite Koordination in der "schulischen Einzelfallhilfe" zu übernehmen.
Etwa 90 bis 100 Jugendliche zählt die Polizei in Hamburg zur Kategorie der jugendlichen Intensivtäter, für die es zur Gewohnheit geworden sei, Straftaten zu begehen.
Protäkt: Das "Projekt täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung" sieht vor, dass für einen Intensivtäter immer derselbe Polizeibeamte, Staatsanwalt und Richter zuständig ist, so dass alle Hintergründe und Fakten einer kriminellen Karriere bei der Strafverfolgung und -ahndung bekannt seien.
Beratungsstelle Gewaltprävention: Sie unterstützt Schulen bei der Planung und Umsetzung gewaltpräventiver Programme.
Daneben sollen die so genannten Fallkonferenzen, in denen alle beteiligten Behörden gemeinsam festlegen, wie ein jugendlicher Intensivtäter in Zukunft betreut wird, häufiger und auch auf bezirklicher Ebene stattfinden. Elias A. war Gegenstand einer solchen Fallkonferenz im vergangenen März gewesen, Ende Mai sollte erneut darüber diskutiert werden, welche Maßnahmen für den Jungen ergriffen werden sollten. Doch da war es schon zu spät.
"Die Fallaufarbeitung hat gezeigt, dass dem unverändert gewalttätigen Verhalten des Jugendlichen nicht kontinuierlich genug nachgegangen wurde", räumte die Senatorenrunde ein. Wersich: "Es gab Schwachstellen im Fallverlauf".
Der SPD-Innenexperte Andreas Dressel formuliert es drastischer: Statt den Jugendlichen individuell zu betreuen und ihm klare Grenzen aufzuzeigen, sei nach "Schema F" verfahren worden. Aus Sicht Dressels hätte der tödliche Messerangriff am Jungfernstieg vermieden werden können, wenn alle Behörden besser zusammengearbeitet hätten.
"Es gibt Fälle, die kann man nicht verhindern", widerspricht Landesschulrat Peter Daschner. Das 2007 beschlossene Konzept "Handeln gegen Jugendgewalt" funktioniere insgesamt gut, es gehe nun darum, einige Stellschrauben nachzuziehen.
Auch Wersich warnte vor "blindem Aktionismus". Da nicht sichtbar werde, "welche Straftaten durch das Konzept verhindert werden", sei es schwer darzustellen, "wo es greift und funktioniert." Der Linken hingegen reicht eine Nachjustierung von Stellschrauben nicht aus. Sie fordert eine Expertenanhörung zur Gewaltprävention, damit neue und wirksame Handlungskonzepte erarbeitet werden können.
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