Konsequenzen nach Österreichwahl: Engagiert und verbissen
Leidenschaft kann in Sturheit enden. Die österreichischen Sozialdemokraten müssen die Ursachen für das Wahlergebnis auch bei sich selbst suchen
M anchmal, nein, unglücklicherweise sogar eher häufiger, muss ich an die schöne Formulierung von George Orwell denken: „Wie bei den Christen sind beim Sozialismus seine Anhänger die schlechteste Reklame.“ Orwell dachte an wirre Zausel, aber auch an Doktrinäre, an Besserwisser, die sich so gerne selbst reden hören, und an Charaktere ähnlicher Art. Sie kennen das. Sie können gerne auch statt „Sozialismus“ eine ganze Reihe unterstützenswerter Anliegen einfügen.
Sie stoßen bestimmt in jedem Fall auf ganze Bataillone von Anhängern, die „die schlechteste Reklame“ der jeweiligen Sache sind. Nun mag es so sein, dass jede gute Sache auch Schrullis und Spinner aller Art anzieht wie das Licht die Motten. Hinzu kommt, dass jede echte Überzeugung und die Leidenschaftlichkeit, mit der man für sie eintritt, die Gefahr der Über-Überzeugtheit schon in sich trägt und damit das Risiko, in einen Tunnelblick zu geraten.
Damit geht die Gefahr einher, den Rest der Welt nur mehr in Verbündete und Feinde zu unterscheiden. Oder dass wir womöglich glauben: Wenn unsere Argumente noch nicht überzeugen, wird es vielleicht besser, wenn wir besonders laut und ohrenbetäubend brüllen.
Grundsätzlich sind wir Menschen sowieso gut darin, die Fehler der anderen krass wahrzunehmen, den eigenen Unzulänglichkeiten gegenüber aber große Nachsicht walten zu lassen. Für die eigenen Fehler, sofern wir ein Bewusstsein für diese überhaupt zulassen, finden wir stets mildernde Umstände.
Unterstützung für Sozialdemokraten
Ganz nebenbei gesagt, um hier nicht selbstgerecht zu erscheinen, glaube ich, dass es eine ausgesprochen herausfordernde Aufgabe ist, für die Sache, der man sich verschreibt, eine gute Reklame zu sein. Dies nur als eine Bemerkung, damit niemand glaubt, ich sei selber mal wieder fein raus.
In Österreich hatten wir gerade Nationalratswahlen. Von Österreich hört man nur, wenn wieder einmal etwas mit Nazis ist oder mit gestörten Männern, die Frauen in Keller einsperren. Die Rechtsextremisten landeten mit rund 29 Prozent auf Platz eins, die Konservativen stürzten auf 26 Prozent ab und retteten sich auf Platz zwei, und die Sozialdemokraten landeten weit dahinter, bei 21 Prozent.
Ich habe nicht nur die Sozialdemokraten unterstützt, sondern explizit deren neuen Vorsitzenden, Andreas Babler. Aus mehreren Gründen, deren wichtigster davon: In einer orbanistischen Quasi-Diktatur will ich nicht leben, also muss man alles tun, um sie zu verhindern.
In den Medien spricht man jetzt gerne von „Verlusten“ der Konservativen und von einem „Debakel“ der Sozialdemokraten, weshalb viele andere Unterstützer von Andreas Babler jetzt erklären, dass schon diese Formulierung eine fiese journalistische Verschwörung sei. Schließlich habe man nicht nennenswert verloren, die Konservativen schon.
Es braucht Selbstreflexion
Ich verfolge diese Verbissenheit mit einer gewissen Fremdscham für die eigenen Leute. Denn: 21 Prozent sind natürlich ein Fiasko, und der Umstand, dass schon die Wahlen vor fünf Jahren ein Debakel waren, macht es nicht wirklich kleiner. Manche glauben gar, es sei ein Erfolg, da man trotz „schwieriger Umstände“ das Ergebnis gehalten habe.
Oh mein Gott, wenn ich das höre, will ich gleich versinken. Wenn man selbst stagniert, gleichzeitig die Grünen verlieren – und man alles, was man an Stimmen von diesen gewinnt, in gleichem Umfang ins Nichtwählersegment verliert, dann ist das, sorry my french, richtig Oarsch.
Wenn wir dieses Geschehen als Fingerzeig nehmen, der nicht nur für Österreich ein paar Lektionen bereithält, dann müsste man daran herumzugrübeln beginnen: Eine Erwartung war ja, dass man mit einem geerdeten, volkstümlichen, vom Habitus her „proletarischeren“ Parteivorsitzenden und einer energetischen Unterstützerbasis die Vertrauensverluste in jenen Milieus ein wenig gutmachen kann, die sich von den „abgehobenen“ Progressiven in den letzten Jahrzehnten „verlassen“ fühlten.
Fakt ist: Man hat hier gar nichts gewonnen und in der „Mitte“ – in eher bürgerlichen, konservativen Arbeitnehmermilieus – sogar verloren. Ziemlicher Mist. Gewiss: Dass Babler und sein Team von Teilen der eigenen Partei teilweise sabotiert wurden, hat dazu auch beigetragen.
Alles besser als gar keine Meinung
Das ist übrigens das Blöde an der Realität, das es auch so schwer macht, aus Erfahrungen zu lernen: Sie ist multikausal. Sie ist komplex. Es sind immer verschiedene Dinge zugleich wahr. Was es erleichtert, dass sich alle den für sie bequemsten Aspekt des Wahren herauspicken.
Weil es ein so schwieriges Geschäft ist, sich einer Sache mit Leidenschaft zu verschreiben, und weil es irgendwie oft auch uncool ist, für etwas einzutreten und dann auch auf Spur zu bleiben, wenn einem der Wind ins Gesicht bläst, ziehen manche Leute den Schluss, dass es besser ist, für nichts einzutreten.
Das ist natürlich nicht cool, sondern die billigste Haltung überhaupt. Wir kennen diesen Typus der neutralen Unberührtheit, der sich die Ironie und Sarkasmus in alle Richtungen erlaubt und glaubt, der „Unabhängigismus“ wäre auch noch eine intellektuell besonders überlegene Position.
Bei Reinald Goetz habe ich dazu gerade sehr schöne Zeilen in seinem Journalband „wrong“ gelesen. „Spießertum“, nennt er diese „Weltdistanz“, und „außerdem ist aufregenden Dingen gegenüber die kühle, unaufgeregte Reaktion der Souveränität auch ganz einfach FALSCH, defizitär“.
Sie sei „Kompetenzmangel, die Unfähigkeit nämlich, auf Anlässe adäquat zu reagieren. Die Machtgeste der inneren Unabhängigkeit interessiert die Welt gar nicht, sie schränkt nur die eigene Resonanzfähigkeit ein, das weltadäquate Erkennen und Verstehen. Und die Stilisierung dieses Defizits zum überlegenen Verfahren verhindert, dass man die Passionen des Involvements und der Hitze und deren Schönheit entdeckt.“
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