Konrad Litschko über die Ermittlungen in München: Der NSU lässt grüßen
Nur ein Tag war vergangen, da legte sich der ermittelnde Staatsanwalt fest. Man gehe bei dem Täter, der zuvor in München neun Menschen erschossen hatte, von einem „klassischen Amoktäter ohne jegliche politische Motivation“ aus. Tags darauf war sich auch der LKA-Chef sicher: Die Opfer seien „nicht gezielt ausgesucht“ worden.
Ist die Sache wirklich so klar? Ist sie nicht. Denn inzwischen reiht sich Hinweis an Hinweis, dass ein politisches Motiv vielleicht doch infrage kommt. Und dass die neun Opfer – allesamt junge Münchner mit Migrationshintergrund – vielleicht doch gezielt ausgewählt wurden. Immer mehr Bekannte finden sich, die den 18-Jährigen als rassistisch beschreiben, als Bewunderer des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik oder Adolf Hitlers. Auch Bayerns CSU-Innenminister spricht inzwischen von rechtsextremen „Sympathien“ des Täters.
Und dennoch könnte am Ende auch ein anderes Motiv das ausschlaggebende gewesen sein. Der Jugendliche war in psychiatrischer Behandlung, er wurde gemobbt, sein „Manifest“ dreht sich um Schulprobleme. All das passt ins Amok-Schema. Vielleicht vermengen sich aber auch die Motive, vielleicht putschte sich ein psychisch Labiler mit rechtsextremem Hass auf. Man weiß es nicht, noch nicht.
Und deshalb ist es ein Problem, wenn sich die Ermittler schon so sicher sind. Es gab eine Lehre aus dem letzten tödlichen Rechtsterrorismus, dem NSU: Nicht wieder sollten Polizei und Staatsanwaltschaften ein rassistisches Motiv voreilig ausschließen.
Es wäre fatal, wenn sich die Ermittler nun wieder früh festlegen, zu früh. Einen IS-Bezug sehe man bei dem Täter nicht, teilten diese gleich zu Anfang mit. Dass der Terror auch von rechts gekommen sein könnte, das spielte in den Verlautbarungen so gut wie keine Rolle. Man kann nur hoffen, dass der Blick nicht wieder verengt wird. Nur dann lässt sich auch diskutieren, welche gesellschaftlichen Schlüsse aus dieser Tat zu ziehen sind.
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