Konkurrenz der Konzerthäuser: Elbphilharmonie: Kannibalin oder Lok
Der große Saal der Elbphilharmonie ist fertig. Doch deren Saalmiete könnte Hamburgs Orchester mittelfristig zum Rückzug in die gute alte Laeiszhalle nötigen
HAMBURG taz | Die Elbphilharmonie beißt alle weg. Sie wird zur Kannibalin, die Zuschauer, Preise, Künstler abgreift und für die anderen nichts übrig lässt. Weder für die Museen noch für die Theater – und schon gar nicht für die betagte Schwester: die Laeiszhalle von 1908, die auch ihre rund 2.000 Plätze hat, wie die Elbphilharmonie.
Soweit das Horrorszenario. Aber die Furcht ist durchaus begründet, wenn man den Run auf die Elbphilharmonie-Karten bedenkt, deren großer Saal am 30. Juni übergeben wird. Sorgen müssen sich vor allem jene, die in der Laeiszhalle zurückbleiben: die Hamburger Symphoniker. Wie viel Publikum bleibt dem künftigen Laeiszhallen-Residenzorchester, ist die Macht der Gewohnheit groß genug?
Funktionierende Musikstadt sollte allen nützen
„Wenn das Musikstadt-Konzept funktioniert, müsste die Elbphilharmonie als Lok spätestens nach einem Jahr mehr Zuschauer für alle Orchester und Orte generiert haben“, sagt Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel.
Ja, so war die Grundidee, aber gemach: Zunächst wird die am 11. Januar 2017 eröffnende Elbphilharmonie Kräfte binden, auch finanzielle. Denn trotz allen Jubels ist klar: Die Saalmiete wird zwei- bis dreimal so hoch sein wie in der Laeiszhalle. Und das trifft alle beteiligten Orchester: Die NDR-Elbphilharmoniker, das künftige Residenzorchester des Hauses, dann das Philharmonische Staatsorchester, das seine Abo-Reihe in die Elbphilharmonie verlegt, außerdem die private Konzertdirektion Goette, die weiterhin hochpreisige Klassikkonzerte bietet.
Und dann ist da noch das Ensemble Resonanz, Residenzorchester des kleinen Elbphilharmonie-Saals. Zurzeit residiert das demokratisch organisierte Freiberufler-Ensemble in einem Bunker auf St. Pauli. Diesen Ort, wo auch der niedrigschwellige Klassik-Klub-Mix „Urban Strings“ spielt, wollen die Musiker unbedingt beibehalten.
Elbphilharmonie-Saalmiete im oberen Niveau
Doch all diese Orchester, die mit teils über 50 Prozent ihrer Konzerte von der Laeiszhalle in die Elbphilharmonie ziehen, werden für diese Ehre tief in die Tasche greifen müssen: Die von der Elbphilharmonie-Betreiberin „HamburgMusik GmbH“ erhobene Miete liegt laut General-Intendant Christoph Lieben-Seutter europaweit im oberen Niveau.
Und auch wenn sich der Saalpreis nach den jeweils teuersten Eintrittskarten richtet: So viel kann man da nicht draufschlagen, dass es die Saalmiete kompensierte. Hamburgs Orchester werden also mit Verlusten und internen Querfinanzierungen jonglieren müssen.
Oder aber, nach Abklingen des Eröffnungs-Hypes, unauffällig einen immer größeren Teil der Konzerte wieder in der günstigen Laeiszhalle geben. So könnte das Überraschende passieren, nämlich dass die Laeiszhalle mittelfristig für die Orchester zur lohnenden Alternative wird. Und vielleicht werden auch Besucher die ebenerdige Laeiszhalle neu schätzen, wenn sie sich ein paarmal durch die überfüllte ellenlange Rolltreppe – die „Tube“ – zur Elbphilharmonie hoch- und wieder runtergewurschtelt haben.
Laeiszhalle könnte Hort des Feinen und Exklusiven werden
Sicher: Verwaisen wird die Laeiszhalle auch bis dahin nicht: Die NDR-Sinfoniker werden das „Alte Werk“ dort belassen, die Philharmoniker einige Kammerkonzerte, Goette die „Meisterpianisten“-Reihe. Was allerdings passiert, wenn an einem dieser Abende parallel Klassik in der Elbphilharmonie läuft, weiß noch niemand. Symphoniker-Intendant Kühnel schließt für die erste Elbphilharmonie-Zeit einen leichten Besucherrückgang nicht aus.
Aber auch das Gegenteil hält er für möglich: „Ich bin sicher, dass der nostalgische, zugängliche Charme und die insbesondere für Werke des 19. Jahrhunderts herausragende Laeiszhallen-Akustik wie bisher die Musikliebhaber ganz Europas überzeugen wird.“ Und sei es, möchte man hinzufügen, weil günstige Karten für die Elbphilharmonie ausverkauft sind.
Vielleicht wird die Laeiszhalle dereinst gar Hort des Kleinen, Feinen, kammermusikalisch-Exklusiven? Und die Elbphilharmonie der um internationale Stars werbende Glamour-Star? Oder wird irgendwann ein Kombi-Ticket für Gerechtigkeit sorgen? Wir werden es erleben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen