piwik no script img

Konjunktur nur „eingedellt“

Dass die Bundesregierung spart und Schulden abbaut, gefällt den Wirtschaftsweisen. In ihrem Jahresgutachten tadeln sie aber die Arbeitsmarktpolitik und fordern mehr Flexibilität. Nur Ratsmitglied Jürgen Kromphardt warnt vor Lohndrückerei

von BEATE WILLMS

Die Prognose für die Rahmenbedingungen war schnell abgehandelt, als Jürgen Donges als neuer Vorsitzender Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesfinanzminister Hans Eichel (beide SPD) das Jahresgutachten der so genannten Wirtschaftsweisen übergab: 3 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr, um die 2,8 Prozent im kommenden und rund 200.000 Erwerbslose weniger – das hatten so in etwa vor drei Wochen auch die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem gemeinsamen Herbstgutachten vorhergesagt. Nur dass die fünf Einzelkämpfer lediglich von einer „Wachstumsdelle“ sprachen, während die Konjunkturforscher der Institute eine langfristigere Abschwächung gesehen und vor Risiken gewarnt hatten: einem unerwartet rauhen Ende der Booms in den USA, einem anhaltend hohen Ölpreis und einer restriktiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Richtig gespannt waren die Regierungsvertreter jedoch auf die Benotung ihrer Politik. Durften sie sich doch insbesondere mit ihrer Haushalts- und Finanzpolitik als ziemlich brave Schüler ihrer stark angebotsökonomisch orientierten wirtschaftspolitischen Berater fühlen. Und tatsächlich belohnten die Experten Eichels Spar- und Schuldenabbaukurs mit durchweg guten Noten und forderten ihn auf, nur ja „nicht nachzulassen“, die Konjunktur komme auch alleine klar. Insbesondere mit der Steuerreform, deren Ersparnissen für die Unternehmen, habe Eichel endlich „Raum für die Entfaltung von Wachstumskämpfen“ geschaffen, behaupten sie in ihrem Gutachten.

Ein immerhin anerkennendes „Bemüht sich“ durfte Schröder stellvertretend für seinen Rentenminister Walter Riester (SPD) mitnehmen. Allerdings zeigten die Weisen Zweifel an den Modellrechnungen und forderten deswegen, das Rentenalter ab 2010 auf 67 Jahre zu erhöhen.

Als derjenige, der seine Politik an der Entwicklung der Arbeitslosigkeit messen wollte, kam der Kanzler selbst bei der Verteilung der Zeugnisse am schlechtesten weg. Die derzeitige „Erholung auf dem Arbeitsmarkt“ könne nicht darüber hinweg täuschen, so die Sachverständigen, dass die „weitgehend verfestigte Arbeitslosigkeit“ die „gravierendste Zielverfehlung“ der rot-grünen Politik sei. Die wie aus einem neoliberalen Lehrbuch abgeschrieben erscheinenden Verbesserungsvorschläge gingen dann aber sogar Ratsmitglied Jürgen Kromphardt zu weit, der sich ansonsten zu keinem Minderheitsvotum hatte durchringen können: mehr Flexibilität, weniger Mitbestimmung, keine gleichen Löhne für gleiche Arbeit, sondern eine größere Aufsplitterung nach Qualifikation, Branchen, regionalen Besonderheiten und betrieblicher Produktivität. Entsprechende Betriebsvereinbarungen dürften nur nach Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen und mit Zustimmung der Tarifparteien abgeschlossen werden, argumentiert Kromphardt im Gutachten, sonst gingen die Vorteile des Flächentarifs verloren, der schließlich nicht nur die Beschäftigten vor Lohndrückerei schütze, sondern auch die Arbeitgeber vor entsprechender Konkurrenz.

Auch Schröder selbst muckte auf und erklärte, die Bundesregierung habe an diesem Punkt einen Dissenz mit den Sachverständigen. Sie werde versuchen, in der Arbeitsmarktpolitik einen eigenen Weg zu finden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen