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Kongos Regierungstruppen plündern RohstoffeDas Zinnerz und der Krieg

Mit den schwindenden Aussichten auf Stabilität im Ostkongo bleibt der Mineraliensektor der Provinz ein Spielball militärischer Interessen auf Regierungsseite.

Kongos Regierungsarmee kontrolliert den Mineralienexport des Landes. Bild: dpa

DIE GÄNGIGE SICHTWEISE

Allein in den ersten drei Tagen dieser Woche haben die EU-Kommission, Bundespräsident Horst Köhler und der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die Ressourcenausbeutung im Ostkongo gegeißelt und Maßnahmen dagegen gefordert - von UN-Überwachung der Exportströme bis zu einem kompletten Exportverbot. Das EU-Parlament forderte, "sicherzustellen, dass europäische Firmen keinen Handel, Umgang oder Import mit Produkten betreiben, die aus Mineralien stammen", die irgendwelchen bewaffneten Gruppen nütze. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner forderte gar, dass UN-Truppen im Kongo die Bodenschätze überwachen sollten.

Zahlreiche Medienberichte und Politikerstellungnahmen behaupten, die Rebellion des Tutsi-Generals Laurent Nkunda habe geheime wirtschaftliche Beweggründe: den Ausverkauf Ostkongos an ruandische Interessen. D. J.

John Kanyoni ist ein vorsichtiger Mann. Als die Kämpfe zwischen Kongos Regierungsarmee und den Rebellen von Laurent Nkunda Ende Oktober in der Nähe der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma ihren Höhepunkt erreichten, zog sich der Mineralienhändler ebenso wie viele andere Bewohner der Stadt über die nahe Grenze nach Ruanda zurück, zur eigenen Sicherheit. Erst jetzt, rund drei Wochen später, denkt er wieder an die Rückkehr in den Kongo. "Es geht alles nur sehr zögerlich wieder los", erklärt er die Lage seiner Branche. "Wir arbeiten wie in Zeitlupe. Sie wissen ja, wie die Regierungsarmee sich verhält." Händler, die früher pro Monat sechs bis acht Container Zinnerz zu je 25 Tonnen aus Goma nach Ruanda zum Weiterverkauf auf den Weltmarkt exportierten, beschränkten sich nun auf einen bis zwei.

In der internationalen Diskussion über den neuen Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo gelten Rohstoffexporte immer häufiger als Motor des Konflikts. Aber die aktuellen Kämpfe im Ostkongo finden nicht in Bergbaugebieten statt, und im Gebiet der Rebellen der CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) gibt es keine nennenswerte Mineralienausbeutung. Bergbau und Mineralienexport im Ostkongo finden nahezu ausschließlich unter Kontrolle der Regierung beziehungsweise ihrer lokalen Verbündeten statt: einzelne Armeeeinheiten, die auf eigenen Rechnung wirtschaften, sowie die mit Kongos Präsident Joseph Kabila verbündeten ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die in den beiden Kivu-Provinzen weite Regionen kontrollieren.

Die derzeit umkämpfte Provinz Nord-Kivu enthält das größte Zinnerzrevier des Kongo, im äußersten Westen der Provinz im Urwaldgebiet von Walikale, das vom Rest des Landes nur zu Fuß durch den Dschungel oder durch die Luft zu erreichen ist. Offiziellen Zahlen zufolge exportierte die Provinz im Jahr 2006 Zinnerze im Wert von rund 7 Millionen US-Dollar; die in den Minen registrierten realen Fördermengen allerdings sind mehr als dreimal höher, so dass bis zu 20 Millionen US-Dollar an unregistrierten, also illegalen Exporten dazukamen. 2007 und Anfang 2008 sind die Fördermengen gestiegen und die Weltmarktpreise noch viel mehr, so dass der Exportwert in die Höhe schnellte. Die meisten Zinnminen von Walikale stehen unter Kontrolle der 85. Brigade der Regierungsarmee des Kongo, die sich wiederholten Befehlen zum Abzug aus den Bergwerken immer wieder entzogen hat. Weil ihre Millioneneinnahmen durch dunkle Kanäle auch die Machthaber des Kongo alimentieren, wird diese illegale Ausplünderung vom Staat toleriert.

Zinnförderung und Zinnexport in legale Bahnen zu lenken, würde bedeuten, die Minen ihrem vertraglichen Eigentümer zu übergeben - der südafrikanisch-kongolesischen Firma MPC (Mining Processing Congo), Teil eines südafrikanischen Konsortiums namens Kivu Resources mit Konzessionen sowohl im Ostkongo als auch in Ruanda. Das erscheint derzeit weiter entfernt denn je. Seit dem neuen Krieg, der die Armeebrigade in Walikale wieder strategisch wichtig für die Regierung im Kampf gegen Rebellenführer Nkunda werden ließ, hat MPC endgültig das Handtuch geworfen. "Wir haben unsere vertraglichen Ansprüche nicht aufgegeben, aber wir verfolgen sie auch nicht weiter", erklärt der lokale MPC-Vertreter in Goma, Jonas Sebatunzi.

Mit den schwindenden Aussichten auf Stabilität und Investitionssicherheit im Ostkongo bleibt auch der Mineraliensektor der Provinz zunehmend ein Spielball militärischer Interessen auf Regierungsseite. Die Händler von Goma haben dies als Gefahr für ihre Reputation erkannt: Immer mehr von ihnen kaufen jetzt kein Zinnerz mehr aus Walikale, sondern aus weiter entfernten Förderstätten abseits der Kriegsgebiete wie Kasese in der Provinz Maniema im Zentrum des Landes oder Manono in der Südprovinz Katanga. Die Erze aus diesen Gebieten sind schwärzer als die eher rötlichen aus Walikale. Daher wäre es im Handel leicht, zwischen den verschiedenen Herkunftsregionen zu unterscheiden, meint Sebatunzi.

Die weltweite Wirtschaftskrise, die die Zinnerzpreise seit Juni bereits um ein Drittel hat sinken lassen, sorgt sowieso für Absatzschwierigkeiten, und zwischen Juni und August kam ein massiver Streit zwischen Handelsfirmen in Goma und Kongos Regierung dazu, weil Letztere die Exportsteuern für Mineralien massiv erhöhen wollte. Die Exporteure traten in den Streik, bis Ende August eine Lösung gefunden wurde, die die Steuern nur moderat erhöht und zugleich vereinfacht. Während des Streiks sammelten sich über 1.000 Tonnen Zinnerz in den Depots von Goma an. Die werden seitdem abgebaut - kriegsbedingt nur langsam. Auch dieses Überangebot sorgt dafür, dass die Branche in der Krise bleibt.

Gleiches wie für Zinn gilt für die Erzmischung Coltan (Colombit-Tantalit), in der Elektronikindustrie begehrt und während des Kongokriegs (1998-2003) Synonym für die illegale Ausplünderung des Kongo. Nur wenige Coltanminen sind im Kongo noch in Betrieb und das katangische Gebiet Manono wird im Vergleich zu Kivu immer attraktiver für Ankäufer. Hinzu kommt, dass Ruanda seine eigenen Coltan- und Zinnminen massiv ausbaut und dafür mit deutscher Hilfe Zertifizierungssysteme entwickelt, die einen einwandfreien Herkunftsnachweis und damit den Ausschluss von kongolesischer Schmuggelware beinhalten.

Den Mineralien Nord-Kivus wird somit das Wasser abgegraben. Nicht die Mineralienausbeutung im Ostkongo fördert Konflikte, sondern die Konflikte behindern die Mineralienausbeutung. Womit können also die Kriegsparteien ökonomisch überleben?

In einem Land wie dem Kongo, wo alle Konsumwaren importiert werden müssen, sind Importe viel lukrativer als Exporte. Die Einfuhren im Ostkongo übersteigen die Ausfuhren um ein Vielfaches; dementsprechend vervielfachen sich auch die Verdienstmöglichkeiten an Grenzen, in Zollämtern und auf Märkten. Besonders lukrativ sind Treibstoffe aller Art sowie Baumaterialien wie Zement. Die großen Städte wie Goma erleben seit Jahren einen Bauboom mit unzähligen gigantischen Luxusvillen, weil jeder, der ein gutes Geschäft macht, es mangels Alternative sofort in Immobilien umsetzt.

Alle Importgüter Ostkongos kommen aus Ostafrika, dessen Häfen sie im Transit aus Asien und Dubai erhalten und über Kenia und Uganda in das Innere Afrikas verteilen. Traditionell gibt es für Importe nach Nord-Kivu zwei konkurrierende Handelswege: einen über Ruanda in die Provinzhauptstadt Goma, einen über Uganda nach Butembo, eine Handelsmetropole 300 Kilometer nördlich. Während des Kongokriegs (1998-2003) herrschten in Goma und Butembo zwei verfeindete Rebellenbewegungen, und die in Butembo gewährte ihren Händlern Sondervergünstigungen: Importzölle wurden nicht als Prozentsatz vom Warenwert erhoben wie gesetzlich im Kongo vorgeschrieben, sondern als Pauschale pro Lastwagen, was viel billiger kam. So entwickelte sich der Grenzort Kasindi an der kongolesisch-ugandischen Grenze, über den Butembo versorgt wird, zum zweitwichtigsten Außenhandelsposten ganz Kongos.

Auch nach dem Friedensschluss und der Wiedervereinigung des Kongo 2003 blieb dieses Vergünstigungsregime erhalten. Aus diesem Grund betrachteten einige Geschäftsleute in Goma nach 2006 das Aufkommen nicht nur der Nkunda-Rebellion, sondern auch anderer lokaler ethnischer Milizen mit Wohlwollen, teilweise unterstützten sie sie sogar aktiv: Die Überlandstraßen waren infolgedessen unsicher, und dies hielt die Butembo-Konkurrenz fern.

Erst dieses Jahr, sagt Zollchef Djuma Shauri in Kasindi, sei das Butembo-Vorzugsregime abgeschafft worden; jetzt gelten hier die gleichen Steuersätze wie überall. Nun erhebt der Zöllner in seinem Büro, vor dem sich gigantisch hoch beladene Lastwagen stauen, die gleiche Klage wie seine Kollegen in Goma: Die hohen legalen Steuern ermutigten Händler zum Schmuggel. "Wenn wir die Steuern wieder senken könnten, würden die Leute die regulären Wege einhalten", meint er. So aber wird sehr viel illegal importiert.

Der neue Krieg in Nord-Kivu hat nun diesen Handelsweg nach Goma endgültig unterbunden. Einfuhren aus Uganda in die Provinzhauptstadt passieren weiter südlich die Grenze, in Ishasha oder Bunagana, und landen dann zuerst im CNDP-Rebellengebiet. Auf dem Weg nach Goma werden sie dann von der CNDP besteuert. Der ehemalige Mautposten von Kibumba unweit der Provinzhauptstadt, an dem früher Straßennutzungsgebühren erhoben wurden, dient nun als faktische Zollgrenze zwischen Rebellen- und Regierungsgebiet. "Die Mindestgebühr für einen Lastwagen ist 500 Dollar", weiß ein Betroffener: Immerhin bekomme man dafür eine offizielle Rebellenquittung.

Über diese Strecke kommen nicht nur Importe nach Goma, sondern auch lokale Lebensmittel, die in den relativ sicheren Rebellengebieten von in ihre Dörfer zurückgekehrten Bauern angebaut werden. "So kehrt allmählich das Vertrauen zurück", analysiert Kakule Mwana-wa-Vene, Chef der Außenhandelsabteilung der Provinzregierung von Nord-Kivu. "Immer mehr Händler wagen sich wieder heraus, vor allem die Großhändler. Aber viele zögern noch."

Der Krieg hat noch nicht alles abgetötet. Aber eine internationale Diskussion, den ostkongolesischen Handel abzuschnüren, würde die wenigen verbleibenden Lebensgrundlagen der Region wohl endgültig zerstören.

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1 Kommentar

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  • OJ
    Oliver Jünger

    Lieber Dominic Johnson,

    ich finde es sehr wichtig, endlich klar zu sagen, wer an diesem Krieg wie verdient. Denn hinter dem Krieg stehen vor allem wirtschaftliche Interessen und kein ethnischer Konflikt. Hutus und Tutsis kämpfen gemeinsam unter Nkunda. In 90% aller Artikel über den Ostkongo wird aber zunächst der Konflikt zwischen Hutus und Tutsis angeführt um dem Leser ein einfaches Schema an die Hand zu geben. Das schürt das moralische Entsetzen des Westens über die "Wilden" in Afrika und bestätigt alte Klischees. Tatsächlich sind auf beiden Seiten des Krieges aber intelligente Geschäftemacher am Werk, die Geschäftsleuten im Westen in nichts nachstehen. Diese Geschäfte müssen den Lesern öfters erklärt werden, deshalb geht ihr Artikel in die richtige Richtung, lässt aber Fragen offen:

    1. Wenn Nkunda nicht an den Minen mitverdient wie Sie schreiben, warum wehrt er sich dann gegen die chinesischen Verträge, in denen China Minienrechte zugesichert werden. Er muss sich doch nur dagegen wehren, wenn er auf den betreffenden Minien "sitzt" oder von der Förderung aus diesen Minien direkt betroffen ist?

    2. Wenn ich den Artikel richtig verstehe, verdient Nkunda mehr am Warenimport als die FARDC am Rohstoffexport, weil der Wert des Imports größer ist als der des Exports. Die Erklärung ist knapp in dem Artikel. Beide Seiten der Kriegsparteien profitieren und schaden den Kongolesen. Dann sollte man auch beide Seiten und ihre wirtschaftlichen Beweggründe gleichermaßen darstellen. Können Sie noch mehr Details und Beispiele beschreiben?

    schöne Grüße