Konflikt um Abtreibungsverbot in Polen: Verzögert, vertagt
Eigentlich sollte in Polen längst das angekündigte totale Abtreibungsverbot in Kraft treten. Stattdessen wird der Rücktritt der Regierung diskutiert.
taz |
„Rücktritt und Neuwahlen!“ – einmal ausgesprochen, diskutieren nun Millionen Polinnen und Polen über die Frage, wie die Nationalpopulisten aus ihren Ämtern gejagt werden könnten. Anlass für den steigenden Unmut ist das Urteil des von der PiS kontrollierten Verfassungsgerichts.
Angeblich, so urteilten die Richter am 22. Oktober, sei der seit 1993 per Gesetz erlaubte Schwangerschaftsabbruch bei schwerst fehlgebildeten und kaum überlebensfähigen Föten verfassungswidrig und damit künftig verboten.
Kaum jemand in Polen hegt jedoch einen Zweifel daran, dass es sich dabei um ein „bestelltes Urteil“ handelt: Das Verfassungsgericht sollte durchsetzen, was dem von der PiS dominierten Parlament in den letzten Jahren nicht gelang.
Gutes Timing
Dass es Protest geben würde, war von vornherein klar. Denn wann immer die PiS oder eine der PiS nahestehende Bürgerinitiative das Thema „Abtreibungsverbot“ ins Gespräch gebracht hatte, gingen Polens Frauen zu Hunderttausenden auf die Straße. Die sogenannten Schwarzen Proteste lehrten die Mächtigen das Fürchten. So endeten alle parlamentarischen Anträge der Pro-Life-Aktivisten in der Tonne, die Abgeordneten wandten sich wieder anderen Themen zu, und die Frauen gingen wieder nach Hause.
Dieses Mal, so schien sich Kaczyński von der PiS gedacht zu haben, war der ideale Moment gekommen, um mit dem Abtreibungsverbot drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Zum einen konnte die PiS mit dem Urteil endlich ihre Bringschuld gegenüber katholischer Kirche und kirchennahen Organisationen einlösen. Immerhin hatten diese bei den letzten Wahlen jedes Mal kräftig die PiS-Trommel gerührt.
Die Frauen als Sündenbock
Zum Zweiten boten sich die zu erwartenden Proteste dazu an, wieder einmal eine bestimmte Gruppe zu brandmarken, sodass die zerstrittene Gesellschaft sich besser regieren ließ, da sie kaum noch in der Lage sein würde, sich solidarisch gegen die Regierenden zusammenzuschließen. Dieses Mal sollten es die protestierenden Frauen sein.
Der „Regierungskanal“, wie der frühere öffentlich-rechtliche Rundfunk in Polen heute oft genannt wird, preschte sofort vor und nannte die Demonstrantinnen „linke Faschisten“. Der Erzbischof von Krakau, der zuvor schon Lesben und Schwule als „Seuche“ verunglimpft hatte, behauptete, dass das rote Symbol des FrauenStreiks – das international anerkannte „Achtung! Hochspannung!“-Zeichen – wie die Runen von SS und Hitlerjugend aussehe.
Zum dritten sollten die Frauen als Sündenbock für das Versagen der PiS-Regierung in der Coronakrise herhalten. Im „Regierungskanal“ TVP behauptete denn auch gleich ein Journalist, dass wahrscheinlich Sozialleistungen wie die 13. und die 14. Rente, vor allem aber das Kindergeld in Höhe von rund 125 Euro pro Kind und Monat gestrichen werden müssten, da durch die Frauenproteste die Coronazahlen in die Höhe schnellten und die Regierung irgendwoher das Geld nehmen müsse für deren Behandlung.
Abgetauchte Regierung
Doch der Plan ging nicht auf. Statt sich einschüchtern zu lassen, schufen die protestierenden Polinnen einen Konsultativrat, der einen Rücktrittsplan für die Regierung ausarbeitete und forderte, die Demokratie in Polen wiederherzustellen. Als daraufhin die Zustimmungswerte für die PiS um über 10 Prozentpunkte absackten, gingen PiS-Regierung und Abgeordnetenhaus für zwei Wochen auf Tauchstation.
Das Verfassungsgerichtsurteil wurde nicht im Gesetzesblatt publiziert, wie es der Premier eigentlich hätte tun müssen. Damit ist es – zumindest vorerst – nicht gültig. Doch die Hinhaltetaktik wird nicht funktionieren: Sobald die PiS-Regierung wieder auftaucht, werden auch die Demonstrantinnen wieder da sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour