Konflikt in Montenegro: Serbischer Herrschaftsanspruch
Die Serbische Orthodoxe Kirche ist mehr als nur Religion. Mit ihr verbindet sich der serbische Versuch, Montenegro eine eigene Identität abzusprechen.
W enn die Serbische Orthodoxe Kirche sich wie jetzt in Montenegro auch politisch wieder in den Vordergrund drängt, dann werden ungute Erinnerungen an die 90er Jahre geweckt. Damals war es das Projekt Großserbien, das zu Kriegen in Kroatien und Bosnien führte, heute ist es das Projekt „Srpski Svet“, die Vereinigung der „serbischen Welt“, die in den umliegenden Ländern wieder Angst zu schüren in der Lage ist.
Die Serbische Orthodoxe Kirche in Belgrad herrscht bisher schon in der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, über Teile Kosovos und schickt sich jetzt an, auch in Montenegro das Sagen zu haben. Da in Serbien traditionsgemäß die Politik der Religion folgt, bedeutet das politisch, diese Gebiete langfristig in einem Staat zu vereinigen zu wollen. Die „serbische Welt“ ist also nicht nur eine geistlich-kulturelle Idee, wie sie gerne dargestellt wird, sie birgt auch einen Herrschaftsanspruch in sich.
Dieser Anspruch wurde in Montenegro jetzt in brutaler Weise deutlich. Den neuen Patriarchen des Landes in dem Kloster der alten Königsstadt Montenegros Cetinje in sein Amt einzuführen, ist ein Schlag gegen die eigenständige montenegrinische Identität. Und sie ist ein Schlag gegen die noch schwache unabhängige Montenegrinische Orthodoxe Nationalkirche, die es zudem gewagt hatte, die von den Serben 1918 konfiszierten Kirchengüter zurückzufordern. Die serbische Kirche hat jetzt gezeigt, wo der Hammer hängt.
Ihr ist es gelungen, auch politisch Boden unter die Füße zu bekommen. Der Architekt der 2006 ausgerufenen Unabhängigkeit Montenegros, Milo Djukanović, hat mit der Korruption seines Regimes Montenegro geschadet und den proserbischen Kräften im Land (30 Prozent fühlen sich als Serben) den Weg an die Macht geebnet.
Das öffnet Perspektiven für die weitere Destabilisierung des Landes und letztendlich die Machtübernahme durch Belgrad. Zehntausende von Demonstranten bedeuten aber auch, dass sich jetzt eine kräftige Gegenbewegung ohne die Ballastfigur Djukanović formieren kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück