KOMMENTAR: Kompromiß statt Entscheidung
■ Fall Junge auf die lange Bank geschoben
Was ist dagegen einzuwenden, daß gerichtlich geklärt wird, ob ein Haftbefehl wegen Republikflucht den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt? Nichts!
Was ist dagegen einzuwenden, daß die Justizministerien der fünf neuen Länder sich mit ihrer Berliner Kollegin darüber verständigen, nach welchen Kriterien Richter der ehemaligen DDR übernommen werden? Ebenfalls nichts!
In der Sache hat der Senat, so könnte man meinen, eine kluge Verfahrensweise gewählt — wenn er sie nur vor anderthalb Jahren beschlossen hätte. Nun jedoch sind beide Maßnahmen nichts weiter als Hilfskrücken, mit denen sich die Landesregierung aus der eignen Bredouille hilft. Die Anhörung der Justizminister war ein Erfahrungsaustausch, der zu nichts mehr nütze war. Waren doch in den anderen Ländern die Ernennungsverfahren bereits abgeschlossen. Der Justizsenatorin lieferte er trotzdem, und dies mag der einzige Zweck der Übung gewesen sein, die gewünschten Argumente, nunmehr die Ernennung vorzunehmen. Dem kam nun ein Rechtsanwalt, rechtzeitig, mag man bei der CDU gedacht haben, mit einer Anzeige gegen Frau Junge zuvor. Das daraus resultierende Verfahren ist in juristischer, aber auch politischer Hinsicht fragwürdig. Juristisch, weil Westrichter von ihren Kollegen aus der ehemaligen DDR mehr verlangen, als sie sich selber zubilligen. Diese hätten hellsichtiger sein müssen als das erkennende Gericht im zweiten Mauerschützenprozeß, daß immerhin im DDR-Grenzgesetz keinen Verstoß gegen ein höherrangiges Rechtsgut sah. Politisch ist das Verfahren fragwürdig, weil der Senat sich schlichtweg hinter den Gerichten versteckt, statt in der Sache zu entscheiden. Was gestern im Roten Rathaus gefunden wurde, ist ein Kompromiß nach Art des Hauses: das Problem wird ausgesessen. Dieter Rulff
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