Kommunikationstrainerin über #MeToo: „Übergriffe nicht dulden“
Wann ist eine Anmache ein Übergriff, und wie kann man unterstützend tätig werden? Fragen an Pia Kuchenmüller von „frauenhorizonte“ gegen sexuelle Gewalt.
taz: Frau Kuchenmüller, lässt sich ein sexueller Übergriff als Außenstehender überhaupt erkennen?
Pia Kuchenmüller: Klar ist: Nein heißt Nein. Spätestens, nachdem Zurückweisung signalisiert wird, egal ob verbal als Nein oder durch eine abweisende Handbewegung, ist das Verhalten als Übergriff zu werten. Das ist durch die Reform des § 177 StGB auch rechtlich geklärt. Aber nicht jeder Übergriff ist für Außenstehende eindeutig als solcher zu erkennen. Ist eine Situation unübersichtlich, sollte das mögliche Opfer gefragt werden.
Wie kann ein Außenstehender in so einem Fall eingreifen?
In einer übergriffigen Situation sollte die Aufmerksamkeit dem Opfer und nicht dem Täter geschenkt werden. Ratsam ist, den Moment zu entschleunigen. Beispielsweise kann ein Glas Wasser oder ein Gespräch angeboten werden, um der Betroffenen einen Ausweg zu bieten. Sollte die Betroffene keine Hilfe wünschen, wird sie das sagen. Im Vordergrund steht, was die Betroffene will. Möchte sie den Abend weiter genießen oder braucht sie Unterstützung, die Situation zu verlassen?
Was kann man tun, wenn man selbst Angst vor dem Täter hat?
In der Situation gilt, dass die eigene Sicherheit vorgeht. Wenn man sich nicht in der Lage sieht selbst einzugreifen, weil man beispielsweise alleine ist, ist das kein Grund untätig zu bleiben. Entweder man spricht gezielt Passanten an oder ruft beispielsweise ein Taxi – notfalls auch die Polizei. Häufig lassen sich Situationen entschärfen, indem man Unterstützung bei Tresenkräften oder Türstehenden sucht.
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Anlauf- und Fachberatungsstelle Frauenhorizonte - Gegen sexuelle Gewalt e.V. in Freiburg.
Und nach einer solchen Situation: Wie können Freunde oder Bekannte unterstützt werden, die einen Übergriff bekannt gemacht haben?
Zunächst sollte jeder Frau, die einen Übergriff bekannt macht, Anerkennung ausgesprochen werden. Über Grenzüberschreitungen zu sprechen ist immer ein große Überwindung. Das Schweigen ist die größte Macht der Täter. Je mehr Leute reden, desto weniger wird sexuelle Gewalt geduldet. Ob die Betroffene mit Ihnen reden will, eventuell weitere Schritte unternehmen möchte, muss sie selbst entscheiden. In jedem Fall hilft es, Unterstützung anzubieten.
Und wie geht man im Nachhinein mit Tätern um?
Schwierig ist der Umgang mit einem Täter aus dem sozialen Umfeld. Denn Angriffe von völlig Fremden sind eher selten. Warscheinlicher ist ein Täter aus dem Bekanntenkreis, aus dem Arbeitsumfeld, von der Uni oder vom Feiern. Erfährt man von einem Übergriff innerhalb des näheren Bekanntenkreises, sollte klar gemacht werden: So ein Verhalten tolerieren wir nicht.
Dass die Betroffene sich aus einem gemeinsamen Bekanntenkreis zurückzieht während der Täter sich nicht einschränken muss, wäre mehr als unschön. Eine deutlich artikulierte Positionierung zugunsten der Betroffenen ist daher wichtig. So signalisieren Sie,dass in Ihrem Umfeld absolut kein Platz ist für sexuelle Übergriffe und ziehen eine deutliche Grenze.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett