Kommunikationsexperte über Schlichtung: "Nach einem Geißler sucht man lange"
Die Schlichtung war die einzige Möglichkeit, die Verständigung in Stuttgart wieder herzustellen, so Beobachter Frank Brettschneider. So ein Verfahren müsste aber am Anfang jeder Planung stehen.
taz: Herr Brettschneider, was hat die Schlichtung gebracht?
Frank Brettschneider: Ganz unterschiedliche Dinge. Erstens muss man den Ausgangspunkt sehen, mit den harten Auseinandersetzungen im Schlossgarten. Die Schlichtung war das einzige Mittel, wieder eine Verständigung in der Stadt, sachliche Auseinandersetzung und respektvollen Umgang miteinander zu bekommen. Zweitens konnten sich die Menschen durch das Schlichtungsverfahren live mit den Argumenten beider Seiten auseinandersetzen und sich eine eigene Meinung bilden.
Eine inhaltliche Annäherung gab es aber so gut wie nicht.
Eine Annäherung im Grundkonflikt Kopf- oder Tiefbahnhof konnte es zwar nicht geben. Trotzdem gibt es in einzelnen Punkten Bewegung. Das spiegelt sich auch in Geißlers Vorschlägen wider. Damit greift er auf, was die Gegner und ihre Gutachter vorgetragen haben. Dahinter können weder die Bahn noch das Land oder die Stadt zurück, ohne einen öffentlichen Ansehensverlust zu erleiden.
Hätte es ohne eine Liveübertragung eine größere Annäherung gegeben?
Die Übertragung war richtig. Anders hätte man den Vorwurf der Mauschelei nicht ausräumen können. Akzeptanz setzt Transparenz voraus. Dass sich Protagonisten vor laufender Kamera anders verhalten als im stillen Kämmerlein, ist klar. Aber auch in geheimen Verhandlungen hätte es keine Annäherung in der Frage gegeben, ob der Bahnhof oben bleiben soll oder nicht.
Sollten solche Gespräche künftig bei jedem Projekt dieser Größenordnung durchgeführt werden?
Ja, aber nicht erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Das muss künftig am Anfang der Planung stehen. Mehr Bürgerbeteiligung, aber auch schnellere Planungsverfahren wären sinnvoll.
Setzt sich tatsächlich jemand mehrere Stunden vor den Fernseher, wenn die Emotionen noch so hochgekocht sind?
Daran gibt es begründete Zweifel. Übertragungen von Ausschusssitzungen des Deutschen Bundestags sind beispielweise keine Quotenrenner. Aber man sollte die Bürger auch nicht unterschätzen. Sie sind anspruchsvoller und informierter geworden. Und das Web 2.0 bietet neue Vernetzungsmöglichkeiten.
Hing dieses Modell nicht auch ganz stark an der Person Geißler? Wer sollte jedes Mal so viel Zeit und Muße haben und würde obendrein so viel Akzeptanz auf beiden Seiten genießen?
Klar, Heiner "Yoda" Geißler hat diesem Modell seinen Stempel aufgedrückt. Er hat parteiübergreifend Vertrauen genossen. Und er hat sich als konsequenter Anwalt der Bürger verhalten. Entweder man findet solche Persönlichkeiten oder man muss professionelle Moderatoren nehmen, die sich auf solche Verfahren spezialisieren. Nach der Autorität, die Heiner Geißler ausstrahlt, muss man aber lange suchen.
INTERVIEW: NADINE MICHEL
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!