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Kommune Holzminden schließt KrankenhausAlle Patienten müssen raus

Das insolvente Krankenhaus Holzminden sollte für zwölf Millionen Euro saniert werden. Doch das Rettungskonzept von Stadt und Landkreis ist gescheitert.

Hier geht bald das Licht aus: ein Dienstzimmer im Krankenhaus Holzminden Foto: dpa | Philipp von Ditfurth

Göttingen taz | Noch vor knapp zwei Wochen sah es nach einer Rettung aus, nun wird das insolvente Krankenhaus im niedersächsischen Holzminden doch komplett geschlossen. „Die mittlerweile eingetretenen Realitäten lassen keine andere Wahl“, erklärten die Stadt und der Landkreis Holzminden in einer gemeinsamen Presseerklärung.

Der Plan von Stadt und Kreis, durch eine gemeinsame Finanzspritze in Höhe von zwölf Millionen Euro wenigstens einen Rumpfbetrieb der Klinik mit rund 40 von insgesamt 180 Betten am Leben zu erhalten, habe sich als nicht realisierbar herausgestellt. Die personellen Voraussetzungen seien dafür nicht mehr vorhanden: „In den entscheidenden Schlüsselpositionen hat eine Erosion von Mitarbeitenden eingesetzt, die sich nicht mehr kompensieren lässt.“ Mehr als 120 der rund 400 Mitarbeitenden sollen in den vergangenen Tagen gekündigt haben.

Das 1933 eröffnete Krankenhaus war in den vergangenen Jahren und nach mehrmaligem Betreiberwechsel – zuletzt führte dort der evangelische Gesundheitskonzern Agaplesion die schlechter laufenden Geschäfte – in finanzielle Turbulenzen geraten. Ende August 2023 mussten die Klinik und das angeschlossene Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) Insolvenz anmelden. Der Geschäftsbetrieb konnte bislang durch das Insolvenzgeld aufrechterhalten werden: Die Löhne und Gehälter der Beschäftigten werden bis einschließlich November von der Agentur für Arbeit gezahlt.

Für einen Erhalt und eine Restrukturierung der Klinik hatten die Stadt und der Kreis Holzminden noch am vorletzten Wochenende besagte Zuschüsse in Höhe von insgesamt zwölf Millionen Euro zugesagt und dafür extra eine Gesellschaft gegründet. Der Abbau des medizinischen Angebots sollte diese Woche mit der Schließung der gynäkologischen Abteilung beginnen. Gleichzeitig wollten sich Stadt, Kreis und der vorläufige Insolvenzverwalter Franz-Ludwig Danko auf die Suche nach einem neuen Betreiber machen.

In den entscheidenden Positionen hat eine Erosion von Mitarbeitenden eingesetzt, die sich nicht mehr kompensieren lässt

Stadt und Landkreis Holzminden

Neben dem massenhaften Abgang von Beschäftigten haben sich den Beteiligten zufolge in den vergangenen Tagen weitere Aspekte ergeben, die zumindest für die nächsten Jahre ein unkalkulierbares Risiko dargestellt hätten. Ein wesentlicher Bestandteil des Beschlusses sei gewesen, dass eine Beratungsfirma vorab die Zahlen, Daten und Fakten des geplanten Restrukturierungsprozesses prüfen sollte, erläutert der parteilose Holzmindener Landrat Michael Schünemann. „Das hat sie getan und dabei festgestellt, dass die rechtlichen, finanziellen und strukturellen Voraussetzungen nicht mehr dem entsprechen, was wir und die Politik vor dem Beschluss angenommen haben.“

„Es war klar, dass wir für eine Rettung des insolventen Krankenhauses am Ende zwei Dinge brauchen: zusätzliches Geld und das nötige Personal“, bekräftigt Insolvenzverwalter Danko. „Nachdem sich abzeichnet, dass beides nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, bin ich als Insolvenzverwalter leider gezwungen, den Krankenhausbetrieb herunterzufahren.“

Praktisch bedeutet dies: Das Krankenhaus nimmt ab sofort keine neuen Patienten mehr auf. Der überwiegende Teil der rund 70 aktuell behandelten Patienten wird in den nächsten Tagen regulär entlassen. Wo es erforderlich sei, werde eine Verlegung organisiert, sagt Danko. „Die durchgängige Versorgung der Patientinnen und Patienten ist dabei weiter gewährleistet und hat allerhöchste Priorität.“ Den verbliebenen Beschäftigten werde er nun Kündigungen aussprechen müssen.

Gleichzeitig sind sich Landkreis- und Stadtobere einig, dass „die gesamtpolitische Wetterlage auch auf Bundes- und Landesebene“ wesentlich mitschuldig daran ist, dass das Krankenhaus in Holzminden nicht gerettet werden konnte.

Die zahlreichen gleichzeitig auftretenden Krisen und Unsicherheiten aufgrund gesundheitspolitischer Entscheidungen der vergangenen Jahre hätten dazu geführt, dass die Krankenhäuser im ländlichen Raum immer geringere Überlebenschancen hätten. „Es scheint momentan fast unmöglich, finanziell in Schieflage geratene Kliniken wieder auf einen sicheren Kurs zu bringen. Hier können die Kommunen allein nicht die in etlichen Kliniken feststellbaren Defizite kompensieren“, heißt es in der Stellungnahme der Kommunen.

Erhalten bleiben soll in Holzminden zumindest das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ). Auch hier habe die Beratungsfirma nach Prüfung der Zahlen kurzfristig zwar positive wirtschaftliche Wende prognostiziert. Allerdings sei das Haushaltsrisiko noch beherrschbar. Mit dem Erhalt des MVZ lasse sich auf eine funktionierende Infrastruktur bauen, die zu einer ambulanten medizinischen Grundversorgung in Stadt und Landkreis weiter beitragen könne.

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1 Kommentar

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  • "AGAPLESION ist eine gemeinnützige Aktiengesellschaft, die gemeinsam mit den beteiligten diakonischen Unternehmen Krankenhäuser und Altenpflegeeinrichtungen in Deutschland betreibt." (Wiki)



    Wehe, wenn eine großer Investor (hier: AGAPLESION) seine Gewinnaussichten minimieren muss, - weil die "fetten Jahre" vorbei sind. Er zieht sein Kapital ab und sagt Tschüs. Weg sind damit für das zurückbleibende Haus auch die günstigen Handelsbedingungen. Kapitaldecke futsch, Rechnungen explodieren, Mitarbeiter fliehen. (Was wollen sie denn? Ist monatelange Angst um den Arbeitsplatz nicht ein schönes Dankeschön für ihren aufopferungsvollen Einsatz in der Pandemie?)



    "Gemeinnützige AG und diakonische Unternehmen" - immerhin. Mit diesen Etiketten (Social washing) habe ich in den letzten Jahren bereits reichlich negative Erfahrungen sammeln können.



    Man kann nur hoffen, dass die zurzeit überall entstehenden "Versorgungszentren" krisenfester aufgestellt sind. ... Sinnigerweise wurde unseres gleich auf dem Friedhofsgelände gebaut.