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Kommunalwahl in der UkraineSchlechte Karten für Selenski

Die Partei des ukrainischen Präsidenten „Diener des Volkes“ dürfte am Sonntag einbrechen. Eine zeitgleiche Volksbefragung sorgt für Ärger.

Der Ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj spricht am Dienstag im Parlament in Kiew Foto: Ukranian Presidential Office/Xinhua/imago

Kiew taz | Lächelnd überreicht Oxana einem Passanten auf dem Powitroflotskij Prospekt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eine Wahlkampfzeitung der Partei Udar (Der Schlag). Sie trägt eine feuerrote Schirmmütze. Auf dieser prangt, genauso wie auf ihrer roten Weste, in dicken weißen Lettern ein „Udar – Vitalij Klitschko“.

Der Ex-Boxchampion, der seit 2014 Bürgermeister von Kiew ist, will sich bei den Kommunalwahlen am Sonntag im Amt bestätigen lassen. Es ist die erste Abstimmung seit der Präsidenten- und Parlamentswahl 2019, die Wolodimir Selenski und seine Partei Diener des Volkes klar für sich entscheiden konnten. Doch seitdem hat Selenski massiv an Zuspruch eingebüßt.

Die 40-jährige Oxana steht seit Wochen jeden Tag hier. Diese Arbeit mache ihr Spaß, sie rede gerne mit Leuten, sagt sie. Lediglich der Verkehr stinke ihr. „Doch Kiew wird grüner werden, wenn Klitschko wieder gewinnt.“ Auf den großen Straßen im Zentrum habe er einen eigenen Streifen für Busse und Fahrräder eingerichtet. Unter Klitschko geschehe etwas. Direkt vor ihrem Haus seien vor zwei Jahren ein Kindergarten und eine Sportanlage eröffnet worden.

Einige hundert Meter weiter verteilt eine Studierende Flugblätter der Partei Diener des Volkes. Die 20-Jährige verspricht einen neuen Autobahnring, der die Stadt vom Verkehr entlasten soll, mehr Videokameras zur Bekämpfung der Kriminalität und mehr Mitsprache für die Bevölkerung. Sie mache Wahlkampf für die Selenski-Partei, weil dies eine Partei der jungen Menschen sei. „Unsere Vorlesungen finden derzeit alle online statt. Da fällt mir die Decke auf den Kopf und ich bin froh, mit Menschen in Kontakt zu kommen.“

Keine Wahlveranstaltungen

Doch diese „AgitatorInnen“ sind die einzige Form der Präsenz der wahlkämpfenden Parteien in der Öffentlichkeit. „Diese Mal organisieren wir wegen Covid keine Wahlveranstaltungen“, erklärt das Büro von Vitalij Klitschko gegenüber der taz. Ähnlich gehen auch die anderen Parteien vor. Wahlkampf findet vor allem in Talkshows und dem Internet statt.

Die Online-Auseinandersetzungen nehmen die Parteien jedoch umso ernster. Ungefähr 400.000 Dollar haben nach Angaben von Facebook allein Ex-Präsident Petro Poroschenko und seine Partei Europäische Solidarität in den letzten Jahren an Facebook für Reklame bezahlt.

Die Kommunalwahlen werden wohl ein Rückschlag für die erfolgsverwöhnte Diener des Volkes von Präsident Selenski werden. In Kiew liegt Amtsinhaber Vitalij Klitschko, der auch von der Poroschenko-Partei Europäische Solidarität unterstützt wird, mit 36 Prozent weit vor seiner Mitbewerberin Irina Wereschtschuk von den Dienern des Volkes, der die Umfragen 8,5 Prozent geben. Auch im Kiewer Stadtrat sieht man Selenskis Partei nur an dritter Stelle, hinter Klitschkos Udar und der Poroschenkos Europäische Solidarität.

Neben der Hauptstadt Kiew werden die Diener des Volkes auch im Osten des Landes vielerorts nur noch an zweiter oder dritter Stelle gehandelt. Dort werden Gewinne für die russlandfreundliche Oppositionsplattform – Für das Leben erwartet. In Slawjansk, so das Portal „Nowoje Wremja“, konkurrieren politische Kräfte, denen Sympathien für die Separatisten zugeschrieben werden, um die ersten Plätze. Auch wenn der Vorwurf einer Nähe zu den Separatisten aufgebauscht sei, wie der aus Donezk stammende Journalist Vitalij Sisow meint, ist abzusehen, dass die Selenski-Partei im Süden und vor allem im Osten mit deutlichen Einbußen rechnen muss.

Keine Wahl in Frontnähe

In einigen Städten in der Ostukraine dürfen wegen der Nähe zur Front keine Stadträte und Bürgermeister gewählt werden. Von diesem Wahlverbot sind ausgerechnet einige Hunderttausend Bewohner betroffen, die mehrheitlich eher nicht für die Diener des Volkes oder Poroschenkos prowestliche Europäische Solidarität stimmen dürften.

Nicht schlecht gewundert hatten sich die Ukrainer*innen, als Selenski ihnen am 13. Oktober eine Volksbefragung ankündigte, die am Tag der Kommunalwahl stattfinden werde. Er begründete die Volksbefragung damit, die Wähler*innen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Unter anderem werde gefragt, ob Korruption in schweren Fällen mit lebenslanger Haft bestraft, Cannabis zu medizinischen Zwecken legalisiert sowie die Parlamentssitze von 450 auf 300 reduziert werden sollen.

Sofort wurde Kritik am Referendum laut, das angeblich namenlose „Mäzene“ finanzieren sollen. Es sei verfassungswidrig, kommentierte Jurij Butusow, Chefredakteur von Liga.net. „Wer hat die Mittel, um auch noch eine Befragung in den 32.122 Wahllokalen zu bezahlen?“ fragt er.

Die „Diener des Volkes“ scheinen nervös zu werden. Am Dienstag hatte Selenski eine Rede zur Lage der Nation im Parlament gehalten, die viele eher als Wahlwerbung sehen. „Selten habe ich so eine unstrukturierte Rede eines Präsidenten gehört“, meint ein Mann an einer Bushaltestelle zu seiner Frau.

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