Kommunalwahl in Schleswig-Holstein: Augen zu und durch
Die SPD in Schleswig-Holstein schlittert planlos Richtung Kommunalwahl. Trotz mieser Umfragewerte sieht Parteichef Ralf Stegner keinen Grund zur Panik.
„Unruhe gibt es immer, der muss man sich stellen“, lautet seine gelassene Antwort im Gespräch mit der taz, und er fügt hinzu: „Ich bin nicht dafür bekannt, besonders furchtsam zu sein.“ Stegner will an seinem Fahrplan festhalten, der nach den beiden herben Wahlniederlagen im Mai 2017 im Land und vier Monate später im Bund beschlossen wurde: „Wir wollen den Reformprozess wie geplant bis zum April nächsten Jahres abschließen.“
Dann sollen, so hatte Stegner im November auf einem Landesparteitag angekündigt, „drei breit aufgestellte Arbeitsgruppen Vorschläge zur programmatischen Weiterentwicklung, zur Organisationsstruktur und zur Personalentwicklung vorlegen“. Heißt im Klartext: Bis dahin weiß Schleswig-Holsteins SPD nicht, was sie will, wohin sie will, wie und mit wem, hat deshalb aber noch lange keine schlaflosen Nächte. Zumal für Stegner das Ergebnis dieses Erneuerungsprozesses bereits auf der Hand liegt: „Die SPD in Schleswig-Holstein bleibt eine linke Volkspartei, ohne Wenn und Aber.“
Als politischer Beobachter könnte man da die Gelassenheit einer großen Volkspartei rühmen, die sich von kleinen Widrigkeiten, wie dem Regierungsverlust vor einem Jahr, nicht vom Kurs abbringen lässt. Oder kopfschüttelnd die Wagenburgmentalität einer zutiefst verunsicherten Partei bestaunen, die in weiten Teilen des Landes, vor allem an der Westküste, kaum noch existent ist. „Wir sind nicht im Krisenmodus“, sagt Stegner dennoch, in der Politik müsse man „einen langen Atem haben“.
Aber natürlich weiß auch der 58-Jährige, dass nach deutlichen Verlusten am Sonntag seine Kritiker mutiger und lauter werden dürften. Zwar geht es bei Kommunalwahlen vornehmlich um lokale Themen, aber die landes- und bundespolitische Großwetterlage schlägt trotzdem immer mit durch. Von der Bundes-SPD ist trotz der neuen Vorsitzenden Andrea Nahles, derzeit noch kein Rückenwind zu erwarten und im Land selbst kommt der Wind von vorn.
Bei der Kommunalwahl am 6. Mai in Schleswig-Holstein wählen rund 2,4 Millionen Stimmberechtigte in rund 1.080 Gemeinden, den vier kreisfreien Städten Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster sowie in den elf Landkreisen ihre politischen Vertretungen.
Die Wahl 2013 hatte die CDU mit landesweit 38,9 Prozent klar gewonnen. Die SPD holte 29,8 Prozent, die Grünen schafften 13,7 und die FDP 5,0 Prozent. Es folgten Wählergemeinschaften mit 4,8, der SSW mit 2,9 und die Linke mit 2,5 Prozent. Die AfD war damals noch nicht im Rennen. Die Wahlbeteiligung lag bei 46,7 Prozent.
SPD-BürgermeisterInnen gibt es in den drei größten kreisfreien Städten des Landes: Kiel, Lübeck und Flensburg. In der vierten kreisfreien Stadt Neumünster sowie in allen elf Landkreisen liegt die CDU vorn.
Die seit Juni regierende Jamaika-Koalition kommt gut an. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap im Auftrag des NDR vor zwei Wochen waren 68 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden mit der Arbeit des Regierungsbündnisses; der grüne Star Robert Habeck und CDU-Ministerpräsident Daniel Günther weisen Beliebtheitswerte auf, von denen Stegner nur träumen kann.
Wäre jetzt Landtagswahl, käme die CDU auf 34 Prozent, zwei Punkte besser als bei der Wahl im Mai vorigen Jahres. Die SPD sinkt um fünf Punkte auf 22 Prozent, die Grünen legen um fünf Punkte auf 18 Prozent zu. „In der gegenwärtigen Situation der SPD wünscht sich niemand Wahlen in seinem Land“, räumt Stegner ein. Aber Politik ist eben, das zeigt sich hier überdeutlich, kein Wunschkonzert.
Auf dem Parteitag vor einem halben Jahr hatten erste Kritiker bereits die Verantwortung des Landesvorsitzenden betont. Ex-Staatssekretär Frank Nägele hatte die Forderung nach Erneuerung der Parteispitze erhoben: „Lasst uns das an den Gliedern, aber lasst es uns auch am Haupt tun.“ Ex-Wirtschaftsminister Reinhard Meyer forderte einen „klaren Zeitplan der personellen Erneuerung“, sonst werde die SPD im Landtag nicht nur fünf, sondern zehn Jahre in der Opposition sein.
Wurden solchermaßen zwar die Lippen gespitzt, wurde indes nicht gepfiffen. Klare Rücktrittsforderungen an Stegner gab es nicht, und ohne HerausfordererIn hätten sie auch keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt. Die aber könnte es jetzt geben: Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange erklärt zwar, nicht Landesvorsitzende werden zu wollen, aber bei einem für die SPD desaströsen Ausgang der Kommunalwahl dürfte die Halbwertzeit dieser Aussage in Stunden zu messen sein.
Lange hatte am 22. April auf einem Bundesparteitag gegen Andrea Nahles als Parteivorsitzende kandidiert und mit 27,6 Prozent ein unerwartet hohes Ergebnis erhalten. Nicht nur in Schleswig-Holstein war spekuliert worden, Lange wolle sich mit ihrer Bewerbung vor allem als Nachfolgerin von Stegner als SPD-Landeschefin in Position bringen. Ihr Achtungserfolg auf Bundesebene hat Langes Ausgangslage definitiv nicht verschlechtert.
Interner Machtkampf
Die ehemalige Landtagsabgeordnete gehört nicht dem Landesvorstand an, hätte aber „schon Lust, dort mitzuarbeiten“, sagte sie vor wenigen Tagen: „Ich sehe mich als Teil des Teams.“ Bloß das nicht, sagt hingegen eine prominente Sozialdemokratin, die keinen Wert auf namentliche Erwähnung legt: „Simone wird instrumentalisiert von Leuten, die Ralf weg haben wollen“, so ihre Überzeugung. Denen gehe es darum, die SPD im hohen Norden „in die Mitte zu rücken“. Zwar kämpfe diese Fraktion nicht mit offenem Visier, weil sie wisse, dass sie bislang nur eine kleine Minderheit ist.
Aber mit einer gestärkten Lange und einem geschwächten Stegner könnte die Lage eine andere sein: „Niemand in der Partei zweifelt daran, dass Simone Ralfs Posten will“, so die Spitzengenossin. Deshalb habe Lange jetzt auch ein Mitgliedervotum über den Landesvorsitz gefordert, weil sie sich da bessere Karten ausrechne als auf einem Parteitag. „Wenn wir den Landesvorstand durch eine Mitgliederbefragung festlegen, können wir zu einem echten Erneuerungsprozess kommen“, hatte Lange vorige Woche erklärt.
Davon lasse sie sich, sagt die prominente Sozialdemokratin, „nicht beeindrucken“. Stegner müsse weitermachen, auch über den Parteitag im April nächsten Jahres hinaus: „Wir brauchen Ralf noch zwei weitere Jahre bis 2021.“ Dann steht die Entscheidung über die Spitzenkandidatur für die nächste Landtagswahl 2022 an. Die soll, sagt Stegner, in einem Mitgliedervotum gefällt werden. Für das „Kollegialorgan Landesvorstand“ sei das hingegen nicht das richtige Instrument: „Wir haben ja kein Präsidialsystem.“
Zwar will Stegner in vier Jahren nicht Spitzenkandidat werden, wie er bereits erklärte, eine Tandemlösung wie 2012 und 2017 mit Torsten Albig schwebt ihm vor. Das aber soll alles erst in frühestens zwei Jahren besprochen werden. „Diese Zeit müssen wir uns nehmen“, sagt die Spitzengenossin, „wir haben auch gar keine andere Chance“.
Ohne personelle Erneuerung indes dürfte die SPD aus heutiger Sicht auch dann kaum eine realistische Chance haben.
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