Kommunalpolitik im Stress: Marzahn einfach nur krank

Verheizt die Kommunalpolitik ihre Bezirksstadträte? Die Bürgermeister der Bezirke machen sich Sorgen um ihr Personal. Marzahn ist beschlussunfähig.

Das ehemalige Rathaus in Marzahn: Ein Plattenbau, der unter denkmalschutz steht

Stress mit Grund: Werden im Rathaus Marzahn (heute Teil des Bezirksamtes) Stadträte verschlissen? Foto: Wikimedia Commons/Gunnar Klack/CC BY-SA 4.0

BERLIN taz Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf ist nicht mehr beschlussfähig. Der Grund: Sowohl Bürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) als auch ihr Stellvertreter Thomas Braun (AfD) und die Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke) sind erkrankt. Wenn aber nur zwei von fünf Bezirksamtsmitgliedern anwesend sind, darf das Gremium keine Beschlüsse fassen.

Bürgermeisterin Pohle hat sich darum entschlossen, ihre Reha für den heutigen Dienstag zu unterbrechen, denn es müssen wichtige Beschlüsse auf den Weg gebracht werden. Die betreffen beispielsweise Anträge auf Gelder von der Landesregierung, Personaleinstellungen und Bebauungspläne. Pohle schaltet aber auch sonst in der Reha nicht von der Bezirkspolitik ab: Am Wochenende erklärte sie etwa dem Aussiedlerverein „Vision e. V.“ ihre Solidarität, nachdem der fremdenfeindlich bedroht wurde.

Bezirksamtsmitglieder haben keine eigenen Stellvertreter, sie vertreten sich vielmehr gegenseitig. Somit lastet auf den verbliebenen Stadträten Gordon Lemm (SPD) und Nadja Zivkovic (CDU) die gesamte Arbeit. Derzeit müssen sie sich auf solche Fragen konzentrieren, die keinen Aufschub erlauben, anderes wird später nachgeholt.

Die Bürgermeisterin ist seit Anfang Dezember wegen einer Knie-Operation mit anschließender Reha nicht im Dienst. Braun und Witt haben sich im Januar krank gemeldet. Juliane Witt schrieb auf ihrer Facebookseite von Problemen mit dem Gleichgewichtssinn, der eine Auszeit und medizinische Untersuchungen erfordere, sie hoffe auf schnelle Genesung. Bei Braun ist nicht bekannt, woran er erkrankt ist und wann er wieder im Dienst sein könnte.

60- bis 80-Stunden-Woche Normalität

Haben die Bezirksstadträte zu viel Stress? Auch wenn nicht klar ist, ob all diese Erkrankungen mit den hohen Anforderungen an KommunalpolitikerInnen zusammenhängen, gibt es lange krankheitsbedingte Ausfälle in mehreren Bezirken. In Einzelfällen müssen Stadträte sogar aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden.

„Eine Tätigkeit als Bezirksamtsmitglied bedeutet sehr viel Stress, der auch krank machen kann“, sagt der Bürgermeister von Treptow-Köpenick, Oliver Igel (SPD), der taz. Insbesondere, wenn andere Kollegen vertreten werden müssen, sei „die Belastung enorm“. Und er zählt auf: Eine 60- bis 80-Stunden-Woche sei Normalität, oft verteilt auf sieben Tage in der Woche, plus viele Abendtermine. Die Anforderungen der Bürger an ihre Kommunalpolitiker seien gestiegen.

Bürger würden Präsenz bei Vereinsveranstaltungen und Festen erwarten, um mit KommunalpolitikerInnen ins Gespräch zu kommen – selbst nachts solle man in sozialen Netzwerken zu kommunalen Themen Stellung beziehen. Oliver Igel sagt: „Das fordert seinen Tribut.“ Er ist dafür, die Zahl der Bezirksamtsmitglieder wieder von fünf auf sechs zu erhöhen. So war es in Berlin bis 2011. Damals trug die Reduzierung der gesunkenen Einwohnerzahl Berlins Rechnung. Inzwischen gibt es aber wieder mehr Einwohner.

Zur Entlastung Stellvertreter gefordert

Der CDU-Abgeordnete Christian Gräff, der von 2006 bis 2016 selbst Stadtrat in Marzahn-Hellersdorf war, teilt diese Forderung. Zur Entlastung fordert er zusätzlich einen eigenen Stellvertreter für jeden Stadtrat. Die hohen Ansprüche in der Bezirkspolitik führten dazu, „dass es immer schwieriger wird, Nachwuchs zu finden“, so die Erfahrung von Gräff, aber: „Es gibt natürlich viele Jobs, die sehr anspruchsvoll sind und zu viel Stress führen. Das trifft Kommunalpolitiker nicht allein.“

Mittes stellvertretender Bürgermeister Ephraim Gothe (SPD) spricht ebenfalls von hohen Anforderungen mit gesundheitlichen Risiken: „Die zahlreichen Abendtermine können zu Schlafdefiziten führen. Wenn sich dann politische Konflikte zwischen den Parteien und Fraktionen im Bezirksamt widerspiegeln, sind psychische Belastungen möglich.“ Laut Gothe ist „eine gute Konstitution“ für die Arbeit im Bezirksamt erforderlich. Ebenso müssten die Bezirksbürgermeister für ein kollegiales Miteinander sorgen.

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