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KommentarBilliges Spiel

Eine Absage ans geschlossene Heim: was Bremen sich traut, ist in Hamburg aus Angst vor Rechts nicht möglich. Nun müssen wir die SPD an ihren Taten messen

Bremens Sozialsenatorin von den Grünen, Anja Stahlmann, kann es offen aussprechen: Es gibt keinen Bedarf für ein geschlossenes Heim. In Hamburg ist das nicht möglich. Ängstlich schauen die Akteure der Jugendhilfe auf die rechte Opposition. Wird sie wieder Fälle kriminell gewordener Jugendlicher öffentlich skandalisieren und die SPD vor sich hertreiben, so wie einst Rechtspopulist Ronald Schill im Wahlkampf 2001?

Das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht. Hamburgs Versuche mit geschlossener oder quasi-geschlossener Unterbringung, sei es Feuerbergstraße, Haasenburg oder Mädchenheim Friesenhof, gingen alle daneben.

Doch nicht nur diese Heime sind das Problem, sondern auch der verengte Blick auf die Kinder als kriminelle Wesen, vor denen man die Gesellschaft schützen muss, ist ein billiges Spiel und kompetenter Politiker eigentlich nicht würdig.

Denn diese Kinder bestehen nicht nur aus ihren vermeintlich bösen Taten. Oft wurden sie aus ihren Familien genommen, weil die Umstände nicht mehr tragbar waren. Jugendhilfe soll ihnen helfen, Teil dieser Gesellschaft zu werden. Sie hat eine andere gesellschaftliche Aufgabe als die für Kriminalitätsbekämpfung zuständige Polizei, deshalb ist es überfällig, bei der Zusammenarbeit beider Behörden auf Datenschutz zu achten.

Die Koordinierungsstelle hat sich 60 Fälle angeguckt und benennt konkreten Hilfebedarf. Obdachlosigkeit von ehemaligen Heimkindern zum Beispiel ist ein Pro­blem, davor hat gerade erst das Deutsche Jugendinstitut in München gewarnt. Statt darüber zu reden, wo und wann Hamburg ein geschlossenes Heim errichtet, sollten sich die Jugendpolitiker dran machen, die tatsächlich bestehenden Versorgungslücken zu analysieren und zu beseitigen.

Es ist ein Thema, das auch in die Enquetekommission zur Überprüfung der Kinder- und Jugendhilfe gehört, die kürzlich ihre Arbeit aufnahm. Man muss nicht nur passende Angebote schaffen, sondern auch auf die Ursachen für alle Art von Kinder­verelendung schauen. Es müssen für arme Familien Lebensbedingungen geschaffen werden, die die Herausnahme von Kindern überflüssig macht.

Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) hat die Koordinierungsstelle bislang immerhin gewähren lassen. Eine klare Absage an die geschlossene Unterbringung gibt es von ihr nicht. Die kritische Öffentlichkeit muss nun genau schauen, wo, wann und mit welchem Konzept ein Hamburger Heim entsteht, ob etwa Fixierungen erlaubt sind, wie es in einem ersten Entwurf dafür hieß. Es wäre schön, wenn das Kapitel der Heimskandale nicht noch einmal fortgesetzt, sondern endlich geschlossen werden könnte. Kaija Kutter

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