Kommentar: Wenig Hoffnung
Per Staatsvertrag will Niedersachsen Muslime und Christen gleichstellen. einen Sinn ergibt das nicht
Es ist eine unendliche Geschichte: Über einen Vertrag, der Rechte und Pflichten der in Niedersachsen lebenden Muslime festschreiben soll, verhandelt das Land mit den Religionsverbänden schon seit 2005. Damals hatte Ex-Bundespräsident Christian Wulff noch nicht mit seinem Statement, der Islam gehöre zu Deutschland, Furore gemacht – sondern amtierte als CDU-Regierungschef in Hannover.
Seit 2013 arbeitet auch die rot-grüne Koalition seines Nach-Nachfolgers Stephan Weil (SPD) an einem solchen Staatsvertrag, der Muslimen etwa ermöglichen soll, an hohen islamischen Feiertagen unbezahlt der Arbeit fernzubleiben. Auch zum Bau von Moscheen will sich das Land bekennen: „Symbolisch“ soll so ein „Zeichen des Respekts und der Akzeptanz“ gesetzt werden.
Von den Muslimen wird das ausdrücklich anerkannt. Erst per Staatsvertrag würden „die islamischen Religionsgemeinschaften den etablierten gleichgestellt“, sagt Emine Oğuz vom Landesverband der Ditib-Moscheegemeinden. Beendet werde so eine „jahrzehntelange Zwei-Klassen-Behandlung“ – mit den evangelischen Landeskirchen hat Niedersachsen im Kloster Loccum schon 1955 entsprechende Vereinbarungen getroffen.
Doch nach den Terroranschlägen von Paris, nach dem abgesagten Fußball-Länderspiel in Hannover melden sich die Skeptiker. CDU-Fraktionchef Björn Thümler, aber auch einzelne SozialdemokratInnen wettern über Gebetsräume, die in Niedersachsens Schulen angeblich exklusiv für Muslime bereitgestellt werden sollen – was überhaupt nicht vorgesehen ist. Diese Einwände dürften einem grundsätzlichen Misstrauen Muslimen gegenüber entspringen, obwohl eine Angst gegenüber „dem Islam“ natürlich unbegründet ist – schlicht, weil es ihn als homogene Religion oder gar Ideologie nicht gibt.
Schwerer wirken Bedenken, die etwa die FDP äußert: Ob und wie die Staatsverträge, die den muslimischen Verbänden allein 2016 Haushaltsmittel von 300.000 Euro versprechen, überhaupt kündbar sind, wollen deren Parlamentarier wissen. Wie die Christdemokraten haben sie deshalb den wissenschaftlichen Dienst des Landtags eingeschaltet. Mit Ergebnissen wird nicht vor dem Sommer gerechnet.
Bürgerrechtler der Humanistischen Union argumentieren seit Langem, dass Staatsverträge im Grundgesetz nicht vorgesehen sind und sich Religionsgemeinschaften darum selbst finanzieren sollten. Aktuell trifft diese Kritik natürlich vor allem die beiden großen christlichen Kirchen: Tatsächlich könnten sich auch Sozialdemokraten und Grüne fragen, warum das mit 60 Milliarden Euro verschuldete Land Niedersachsen allein 2016 satte 35 Millionen Euro aus allgemeinen Haushaltsmitteln in die evangelischen Landeskirchen pumpt – wohlgemerkt jenseits aller Kirchensteuern. Die Katholiken sind dem Land weitere neun Millionen wert.
Seit 1949 wird allein Niedersachsen damit 1,5 Milliarden Euro an die Kirchen gezahlt haben – auch als Ausgleich für Enteignungen während der Säkularisation Anfang des 19. (!) Jahrhunderts, also für Reformen Napoleons. Und wer glaubt, das Geld fließe an Kindergärten oder Altenheime, irrt gewaltig: Der kirchliche Eigenanteil an den Sozialeinrichtungen von Diakonie und Caritas beträgt gerade einmal zwei Prozent, heißt es im „Violettbuch Kirchenfinanzen“.
Mit den Steuern aller betoniert wird so der Einfluss von Religionsgemeinschaften, die wie die katholische Kirche Homosexuellen oder Wiederverheirateten kündigen oder wie die evangelische das Streikrecht ihrer MitarbeiterInnen einschränken. Noch immer gebe es kirchlich getragene Schulen, die im Biologieunterricht nicht nur die Evolutionstheorie vermittelten, sondern Gott als Schöpfer darstellten, klagt der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten. Auch in den türkischen Ditib-Gemeinden träumen manche bereits von konfessionsgebundenen islamischen Schulen.
Besser wäre, das Land würde sich auf seine Neutralitätspflicht besinnen – und Schluss machen mit der Religionsfinanzierung auf Staatskosten. ANDREAS WYPUTTA
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