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KommentarEinknicken, ohne in die Knie zu gehen

Der Mindestlohn kommt, weil die Wähler ihn wollen. Da helfen der Union auch die Versuche nichts, das Entsendegesetz auszudehnen. Im Gegenteil.

D er Mindestlohn wird kommen. So einfach ist das. Denn die meisten Deutschen wollen Lohndumping nicht länger tolerieren, wie Umfragen immer wieder zeigen. So unbeliebt die SPD momentan ist - beim Thema Mindestlohn hat sie die Bürger hinter sich. Selbst die CDU scheint langsam einzusehen, dass sie den Wählerwillen nicht länger ignorieren kann. Die Union steht nun vor dem typischen Problem der Imagepflege - sie muss einknicken, aber es soll nicht so aussehen, als sei sie in die Knie gegangen. Das neueste Unionszugeständnis lautet daher, dass man doch das Entsendegesetz auch auf andere Branchen ausweiten könnte. Bisher verhindert es das Lohndumping nur in der Bauindustrie und bei den Gebäudereinigern.

Dieser CDU-Vorschlag ist ein erster großer Sieg für die SPD. Symbolisch sowieso, aber auch perspektivisch. Schließlich hat sich die Union selbst eine heimtückische Falle gestellt, in die sie noch oft purzeln wird. Ihre Idee mit dem Entsendegesetz kann in der Praxis nicht funktionieren und wird daher Nachbesserungen erzwingen - die dann auf einen gesetzlichen Mindestlohn zulaufen.

Um es von vorn aufzuwickeln: Das Entsendegesetz lebt davon, bundesweite Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären. Doch die meisten Branchen haben keine bundesweiten Absprachen, sondern nur für einzelne Bezirke. Zudem gibt es Sektoren, vorneweg das Hotelgewerbe, wo aktuelle Tarifverträge fehlen. Noch krasser ist es in der Fleischindustrie: Dort existiert nicht einmal ein Arbeitgeberverband, der Tarifverträge aushandeln könnte. Zudem schreiben manche Tarifverträge nur Hungerlöhne vor. So würde es etwa wenig bringen, den sächsischen Tarifvertrag für Friseurinnen zur allgemeinen Norm zu erheben - liegt doch der Stundenlohn dort nur knapp über 3 Euro.

Zu ihrem Entsetzen wird die Union also erleben, dass die Diskussion über den gesetzlichen Mindestlohn munter weitergeht, falls das Entsendegesetz ausgeweitet wird. Das ist ja gerade das Tolle an diesem CDU-Vorschlag. Noch hofft die Union, dass sie das leidige Thema Mindestlohn nach der Koalitionsrunde am nächsten Montag abhaken kann. Ein Irrtum. Danach wird die Debatte erst so richtig losbrechen.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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