Kommentar: Gefährdungsstufe Rot
In pakistanischen Islamabad entwickelt sich eine neue Generation des militanten Islam. Sie könnte gefährlich werden für die Regierung Musharrafs.
V ier Monate lang wehte die Fahne des Islam über dem Gebäudekomplex der "Roten Moschee" und der ihr angegliederten Mädchen- und Knabenschule in Islamabad. Für die Insassen war es ein Stück befreites Territorium, der Kern eines islamischen Pakistan. Zwar nimmt dies auch die "Islamische Republik Pakistan" für sich in Anspruch, doch es ist ein anderer Islam, den die beiden Kleriker an der Spitze der Moschee meinen, und er unterscheidet sich auch von jenem der Abgeordneten der traditionellen islamischen Parteien im nahen Parlamentsgebäudes.
Der islamische Staat von Präsident Musharraf soll die religiöse Ethik des Korans mit den zivilen und sozialen Rechten einer modernen Demokratie verschmelzen. Die islamischen Parteien, obwohl mit unterschiedlichen Schattierungen, wollen zwar den Einfluss des Klerus im Rechtsstaat ausweiten, ohne diesen selber in Frage zu stellen. Doch die Insassen der "Roten Moschee" wollen einen Gottesstaat, wie ihn die Taliban vor zehn Jahren in Afghanistan einführten - einen Staat, in dem ein konservativ gedeuteter Koran der alleinige Maßstab ist, in dem die Funktionäre des Staats und der Klerus identisch sind. Vier Monate lang dauerte es, bis der allmächtige Präsidenten-General Musharraf den Spuk beendete. In Islamabad heißt es, Musharrafs habe gezögert, um die Öffentlichkeit von seinen Problemen im Gefolge der verpatzten Absetzung des Obersten Richters abzulenken.
Diese Erklärung greift aber zu kurz. Die beiden Mullahs der Lal Masjid sind Repräsentanten einer neuen Generation eines militanten Islam, wie er in den Stammesgebieten Pakistans seit langem gezüchtet wird. Was früher für den exklusiven Export nach Afghanistan bestimmt war, ist heute für den Hausgebrauch gedacht. Die Islamisten sind regional in der Bevölkerung verankert und verfügen über landesweite Netzwerke. Für die Regierung Musharrafs können sie gefährlich werden. Das starke Militär Pakistans würde eine Talibanisierung des Landes zwar zu verhindern wissen, für seine demokratische Entwicklung bedeutet das aber auch nichts Gutes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!