Kommentar: Die Sprengung der Warenform
Kein anderer 68er-Regisseur hat die Werbe- und Logokultur so zu einer fast chiliastischen Kapitalismuskritik zugespitzt wie Michelangelo Antonioni.
D ie Welt ist feindlich, überall. Modernistische Villen, wütende Ozeane, baumlose Wüsten, verspielte Jugendstilkacheln und nordafrikanisches Geröll machen da keinen Unterschied. Doch gerade inmitten dieser Feindlichkeit zeigt der Mensch in seinen Trenchcoats, Stöckelschuhen, mit seinen Jeans, Sonnenbrillen und Haaren bis zum Arsch seine Würde.
Einsam und schön, inmitten der toten, aber sprechenden Kulisse von Rom, London oder der petrochemischen Produktion des Po-Deltas gewinnen die Personen des Michelangelo Antonioni Konturen. Sie sprechen nicht, sie sind die Helden eines stummen Einwands gegen die "verwaltete Welt", wie man sie damals nannte. Und dieser Einwand bestand in schönen Augen und einem entschlossen verzweifelten Blick nach innen.
Dann, im Laufe der 60er, artikulierten sie sich. Sie starrten nicht mehr nach innen, sondern peilten den Horizont an. Den zeigte Antonioni - vom Flugzeug oder vom Auto aus, das einsame Wüstenpisten entlangbrettert - in "Zabriskie Point", einer Reise durch die Idee der Politisierung. Sie beginnt mit Black Panthers, führt über ein gigantisches Love-in in der Wüste und endet in der psychedelischen Apokalypse der Warenkultur, einem der stärksten Bilder jener Revolte: einer zeitlupengedehnten Explosion von Logos und Verpackungen zur Musik der frühen Pink Floyd. Kein anderer 68er-Regisseur hat die viel gefilmte Werbe- und Logokultur so zu einer fast chiliastischen Kapitalismuskritik zugespitzt: nicht Vietnam, nicht der Rassismus, nicht Repression, auch nicht "Konsumterror", wie man damals sagte, sondern: Die Ware selbst ist das Problem. Was gab es danach noch zu sagen?
Antonioni kehrte mit "Beruf: Reporter" zum schönen Existenzialismus zurück. Die beiden Hauptdarsteller aber nahmen ihre Rolle so ernst, dass sie wirklich in den Untergrund gingen. Daria Halprin, Tochter der Tanzavantgardistin Anna Halprin, tauchte aus diesem wieder auf, heiratete Dennis Hopper und übernahm den Laden ihrer Mutter. Mark Frechette dagegen landete im Knast, wo er 1975 unter ungeklärten Umständen getötet wurde. Die Sprengung der Warenform ließ sich nur träumen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!