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KommentarNeue Tabus für Sicherheitsbehörden

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Am Ende der Diskussion über die Onlinedurchsuchung dürfte die SPD einknicken. Sie vergibt die Chance, Verbesserungen bei Bürgerrechten herauszuhandeln.

M omentan führt die SPD nur Abwehrgefechte in ihrem Streit mit CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble, ob die Onlinedurchsuchung von Computern erlaubt werden soll. Am Ende dürften die Sozialdemokraten einknicken - schon weil laut einer Infratest-Umfrage vom April überhaupt nur 22 Prozent der Bundesbürger finden, dass Schäuble zu weit geht. Die SPD vergibt dabei die Chance, deutliche Verbesserungen bei den Bürgerrechten herauszuhandeln.

Bild: privat

Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz mit Sitz in Freiburg.

Stattdessen verlegt sich die SPD darauf, eher scheinradikale Bedingungen aufzustellen. So wird etwa gefordert, es dürfe keine Grundgesetzänderung für die Onlinedurchsuchung geben. Dann macht es Schäuble eben ohne Grundgesetzänderung. Ihre Notwendigkeit ist eh umstritten. Auch andere SPD-Forderungen sind wachsweich: Richtervorbehalt, Benachrichtigung des Betroffenen oder Schutz des "Kernbereichs privater Lebensgestaltung" - all das ist im Gesetzentwurf von Schäuble längst enthalten. Vielleicht kommt noch ein Verbot dazu, die Spähsoftware mit gefälschten Behörden-E-Mails zu verschicken. Doch auch diese Einschränkung kann das BKA verkraften, schließlich war dies nur eine von vielen Ideen, wie das staatliche Hacker-Tool auf dem Computer eines Verdächtigen platziert werden könnte.

Letztlich dürfte die SPD nur sicherstellen, dass die Onlinedurchsuchung nicht zu einer Standardmaßnahme der Polizei wird. Allerdings wird sie wegen der aufwändigen Installation der Späh-Software auf dem Computer des Verdächtigen ohnehin die Ausnahme bleiben. Typischerweise wird die Festplatte - wie schon seit Jahrzehnten - bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt. Es wird sich also weniger ändern, als die aufgeregte Diskussion vermuten lässt.

Auch wenn die Onlinedurchsuchung nur selten stattfinden soll: Bei den meisten Bürgern bleibt eher die Botschaft hängen, dass es keinen geschützten Rückzugsraum mehr gibt. Schließlich erfolgen die meisten der modernen Ermittlungsmethoden heimlich und niemand weiß, ob und wie er überwacht wird. Selbst absolut rechtstreues Verhalten hilft nicht. Es könnte ja ein Missverständnis, eine Verwechslung oder eine böswillige Denunziation vorliegen.

Um diesem Misstrauen gegen den Staat zu begegnen, sind neue Tabus für die Sicherheitsbehörden erforderlich. Die Politik muss zeigen, dass sie das Bedürfnis derjenigen ernst nimmt, die nicht nur einen relativen, sondern einen absoluten Schutz ihrer Privat- und Intimsphäre verlangen. Hier müsste die SPD ansetzen, wenn sie in den Verhandlungen mit der Union nicht nur das Schlimmste verhüten, sondern eigene Akzente setzen will.

So wäre es naheliegend, das gesprochene Wort in der privaten Wohnung und das handschriftliche Tagebuch für absolut geschützt zu erklären. Beides betrifft althergebrachte und zutiefst persönliche Orte der Reflexion, die zugleich für die Kriminalitätsbekämpfung von verschwindend geringer Bedeutung sind. Der große Lauschangriff, also das Abhören der Wohnung mit Mikrofonen, hat trotz gewaltiger Versprechungen bei seiner Einführung 1998 kaum praktische Relevanz entwickelt. Auch das Tagebuch muss die Polizei nicht lesen. Es erstaunt, dass das Verfassungsgericht die Verwertung vor Gericht bisher zugelassen hat, wenn es um Aufzeichnungen über schwere Verbrechen geht.

Natürlich würde die Arbeit der Polizei durch neue Tabus nicht erleichtert. Aber abwägungsfeste Beschränkungen der Ermittlungen sind im Rechtsstaat keine Fremdkörper. Das Schweigerecht des Beschuldigten, die Zeugnisverweigerungsrechte oder die Verjährung behindern die Strafverfolgung spürbar, aber durchaus gewollt.

Und noch ein Deal könnte der SPD Pluspunkte bringen. Statt ängstlich eine Grundgesetzänderung für die Onlinedurchsuchung zu vermeiden, sollte sie lieber verfassungsrechtliche Gegenleistungen fordern. So könnte endlich der Datenschutz im Grundgesetz verankert werden und das alte Fernmeldegeheimnis könnte zu einem umfassenden Mediennutzungsgeheimnis ausgebaut werden, das dann auch die Nutzung des Internets umfasst. Beides hätte zwar überwiegend symbolische Bedeutung, aber nie waren Symbole so wichtig wie in der Mediengesellschaft. Der Gesellschaft würde signalisiert, dass der Staat den Schutz der Privatsphäre auch in Zeiten des islamistischen Terrors ernst nimmt.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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5 Kommentare

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  • TG
    thorsten gräfe

    tschuldigung vorab

    lieber christian rath,

     

    aber soviel naivität muss nicht noch über zeilen ausgebreitet sein wo doch schon biermann vor jahrzehnten wußte die spd-politik mittels zwei sich nachlaufen oktaven treffend ins verhältniss zur politik ihrer schwesterpartei ;-) cdu zu

    setzen ....

     

    mit besten grüßen

     

    thorsten gräfe

  • AZ
    A. Z.

    Was soll die arme SPD denn tun? Soll sie die beim Bürger gerade besonders beliebte Große Koalition an einem Nein zur Online-Durchsuchung scheitern lassen? Sie wird sich hüten! Die Koalition hat schließlich ein Gesicht. Dieses Gesicht ist zwar nicht überdurchschnittlich attraktiv, dafür aber bei weitem populärer als alles, was das Willy-Brandt-Haus derzeit zu bieten hat. Und anders als vor Jahrzehnten reitet die CDU diesmal auf einer geradezu globalen Angst-Welle, nicht auf einer rein hausgemachten.

     

    Nein, auf die SPD wird man wohl bis auf Weiteres vergeblich hoffen, wenn es darum geht, Herrn Schäuble auf ein bürgerrechtskompatibles Maß zurecht zu stutzen. Und wenn es tatsächlich nicht seine eigenen unverarbeiteten Terror-Erfahrungen sind, die ihn zwingen das Grundgesetz zu verbiegen, dann können es im Grunde nur irgendwelche Infratest-Umfragezahlen sein. Den Datenschutz im Grundgesetz zu verankern und das alte Fernmeldegeheimnis zu einem Mediennutzungsgeheimnis umzubauen hätte jedenfalls nicht bloß "überwiegend symbolische Bedeutung", es wäre auch eine Kriegserklärung an all jene, deren Ziel die Stärkung autoritärer Strukturen ist. Und dass ausgerechnet eine Partei, die noch immer an einem Basta-Kanzler würgt, einen solchen Krieg angesichts mieser Prognosewerte heute schon riskiert, darf getrost bezweifelt werden.

     

    Die Bürgerrechte werden für den Bürger grundsätzlich erst in dem Moment wichtig, in dem man sie ihm persönlich abspricht. Der Durchschnittsbürger hat schlicht nicht genug Fantasie, sich diesen Fall vorzustellen, bevor er tatsächlich eingetreten ist. Er wäre sonst nicht Bürger, sondern Schriftsteller oder Theaterregisseur. Der medialen Berichterstattung und dem Entertainment zu folgen, hat er allerdings um so gründlicher gelernt. Und diese Bereiche leben nun einmal auch (und zum Teil sogar überwiegend) vom Horror in all seinen Facetten. Was Wunder, wenn die Angst vor einer Hand voll namenloser Terroristen größer ist als die vor einem Heer staatlicher Beamter. Statistische Wahrscheinlichkeiten sind etwas für emotionsfreie Mathematiker, nichts für Hollywood-Film- und Tagesschau-Konsumenten.

     

    Dass die große Zahl staatlicher Beamter ihre mangelnde Sachkompetenz nicht immer auzugleichen vermag, kann man allerdings ahnen, wenn man sich für einen Augenblick einen x-beliebigen zottelbärtigen Staats- und Demokratiefeind vorzustellen versucht, der beflissen eine gefälschte Behörden-Mail nach der anderen öffnet, um sich über seine staatsbürgerlichen Pflichtem zu informieren. Ebenso amüsant könnte es werden, einen extremistisch veranlagten Dreißigjährigen zu imaginieren, der seine innere Ergriffenheit beim Auffinden einer Internet-Bomben-Bastelanleitung anschließend handschriftlich in einem himmelblauen Tagebuch mit Minischloss festhält. Ausgeprägtes Einfühlungsvermögen ist wohl nicht die allergrößte Stärke der maßgeblichen Schäuble-Mitarbeiter...

     

    Trotzdem: Die Behauptung, bei den meisten Bürgern bliebe im Ergebnis der ganzen langen Debatte die Botschaft hängen, es gäbe keinen geschützten Rückzugsraum mehr, ist ? wie sagt man neuerdings so schön? - nicht zielführend. Selbst wenn dem so wäre: Entscheidend bleibt die Frage, ob das eventuelle Fehlen eines Rückzugsraumes überhaupt als bedrohlich empfunden wird. Und die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend davon ab, wie hoch der Bürger und Wähler den Wert freier Entscheidungen ansetzt. Ist er bereit, seine Obehoheit über die eigene Privatspäre irgendwelchen an die Wand gemalten Teufeln zu opfern, oder lehnt er das aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ab?

     

    Derart grundsätzlich geht es leider in der Meinungsbildung selten zu. Zu oft hören die Menschen auf fremdgeformte Gefühle im eigenen Bauch. Bis sie die persönliche Erfahrung eines Besseren belehrt. Deswegen werden die hier geforderten Tabus wohl auch noch eine ganze Weile auf sich warten lasen. Selbst ein Heer von Beamten braucht dann doch geraume Zeit, um (bewusst oder fahrlässig) eine statistisch relevante Anzahl von groben Fehlern zu machen. Kulturkriege sind sehr viel schneller ausgerufen.

     

    Einen absoluten Schutz gab es nie, gibt es nicht und kann es auch in Zukunft unmöglich geben. Das gilt für das Leben im Allgemeinen genauso, wie für die Privatsphäre im Speziellen. Das ist allerdings noch lange kein Grund, seine Zukunft in die Pranken staatlicher beauftragter Spitzel zu legen. Man braucht nämlich nicht unbedingt ein Misstrauen ?dem Staat? gegenüber, um dem ausdrücklich erklärten ?Guten Willen? skeptisch gegenüberzustehen. Es genügt, wenn man dem Menschen als solchem nicht absolut traut ? und das ist leicht für jeden, der im Stande ist, sich ab und an eigene Fehler einzugestehen.

  • L
    Lammi

    die aussage "So könnte endlich der Datenschutz im Grundgesetz verankert werden und das alte Fernmeldegeheimnis könnte zu einem umfassenden Mediennutzungsgeheimnis ausgebaut werden, das dann auch die Nutzung des Internets umfasst." kann nur ein scherz sein, oder? alternativ müsste man schon voraussetzen, dass sie nicht so recht wussten, was sie da grade schreiben.

    onlinedurchsuchungen, vorratsdatenspeicherung, mautdatenauswertung und all die anderen schönen dinge, die uns die überwachung künftig noch bringen wird, sind das exakte gegenteil eines grundgesetzlich garantierten datenschutzes. wenn der staat einerseits ohne verdacht alle meine verbindungsdaten speichert und so problemlos mein 'surfverhalten' nachvollziehen kann (wofür z. b. google nicht nur von der taz regelmässig als 'datenkrake' gescholten wird), gleichzeitig die möglichkeit hat, permanent ohne mein wissen mein konto zu überwachen, meinen pc auszuspähen, bewegungsprofile von mir zu erstellen... wozu brauche ich dann noch datenschutz? welche daten sollten dann noch schützenswert sein, und vor allem, vor wem sollen sie denn geschützt werden? welchen nutzen hat für meine privatspäre die "überwiegend symbolische Bedeutung"? garkeine, oder? in dem augenblick, in dem auch noch der verfassungsrechtliche riegel entfernt wurde, hat die gesellschaft überhaupt keine kontrolle mehr über die überwachungsaktivitäten des staates. momentan kann wenigstens noch das bundesverfassungsgericht die schäubles stoppen - nach einer grndgesetzänderung dürfen wir nur noch den beteuerungen unserer extrem glaubwürdigen politikerkaste vertrauen, der bürger habe "nichts zu befürchten".

    es geht hier nicht primär um die technisch ohenhin kaum realisierbare und weitgehend sinnfreie onlinedurchsuchung. es geht darum, dass schäuble & co einen anderen staat wollen, in dem bürgerrechte hinter staatlichen und wirtschaftlichen interessen zurückzustehen haben.

  • A
    Alster

    Ist die Demokratie eine Knetmasse?

    Unsere Regierenden modelieren das

    Grundgesetz so, wie es ihnen gerade in den Kram passt. Von Verfassungs-

    Treue keine Spur, wenn es darum geht,

    in die Privatsphäre der Bürger einzu-

    dringen. Das wird auch der eigentliche Grund sein, warum man die

    NPD nicht verbieten will/kann.

    Wer schmeißt schon mit Steinen, wenn

    er selbst im Glashaus sitzt!

  • V
    vic

    Mit Verlaub, aber wer bitte führt noch ein handgeschriebenes Tagebuch?

    Ich jedenfalls nicht.

    Aber womöglich gehöre ich auch hiermit zu der erschreckend kleinen Minderheit von 22%, die finden Schäuble gehe zu weit.

    Die Deutschen bekommen wohl was sie verdienen.

    Nur leider bekomme ich das dadurch auch.

    Was ist nur aus diesem Land geworden...