Kommentar: Ein Protest, der keinem hilft
Mit dem Begriff "Gentrifizierung" wollen sich viele schmücken. Doch das verkennt den Ernst der Lage.
D er Begriff "Gentrifizierung" hat sich zum Schlachtruf der Stunde gemausert. Egal, wer wo durch die Straßen zieht, Autos anzündet oder - wie nun geplant - Zäune stürmt, stets ist es die "Gentrifizierung", die als Grund für den Protest herhalten muss. Das ist schade. Denn wer allzu inflationär mit dem Begriff umgeht und wenig Willens ist, zu differenzieren, verkennt den Ernst der Lage: Eine aktive Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik wäre in Berlin in der Tat dringend nötig.
Der mantraartig wiederholte Satz von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, in Berlin gebe es genug bezahlbare Wohnungen und ohnehin überdurchschnittlich viel Leerstand, ist eine Farce. Längst sind die Mieten für angenehme Wohnungen in einigen Kiezen in die Höhe geschnellt; wer umziehen will, wird mancherorts tatsächlich verdrängt. Die Politik schaut zu; dabei könnte sie einiges bewirken, wenn sie auf Instrumente wie den sozialen Wohnungsbau zurückgreifen würde: Raum für Menschen mit kleinem Geld, gut verteilt übers Stadtgebiet, könnte eine echte soziale Mischung fördern.
Wenn die Linksaktivisten "Gentrifizierung stoppen" rufen und nach einer "selbst bestimmten Stadtentwicklung" schreien, behindern sie die notwendige Diskussion um Wohnungspolitik eher. Sie machen Kritiker der derzeitigen Stadtpolitik angreifbar und ziehen deren Anliegen ins Lächerliche. Den Berlinern, die tatsächlich in Billig-Quartiere verdrängt werden, hilft das überhaupt nicht.
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