Kommentar: Politik der Verdrängung
Garrelt Duins Profilierungsversuch reizt zum Lachen: Seine Forderung nach einer radikalen Korrektur der großkoalitionären Föderalismusreform steht im krassen Missverhältnis zu den ihm verblieben Einflussmöglichkeiten
M it ungewohnt sarkastischem Spott hat Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen auf Garrelt Duins Vorstoß für eine Länderfusion reagiert. "Unsinn" bleibe der, auch wenn er von einem Parteifreund stamme. In der Tat reizt Duins Profilierungsversuch zum Lachen.
Denn im krassen Missverhältnis stehen die verbliebenen Einflussmöglichkeiten des ostfriesischen Bürgersprosses zu dem, was er als Vorhaben bis 2020 ausgibt: Seine persönlichen Karriereziele driften ins Unerreichbare. Duin - Ministerpräsident? Unvorstellbar. Nicht einmal eine Europakandidatin konnte sein Landesverband noch auf einen guten SPD-Listenplatz hieven. Und dieser Mann schwadroniert nun, etwas zu bewerkstelligen, wofür die denkbar größte Mehrheit in beiden Bundeskammern nicht reichte? Na dann: Viel Spaß!
Nimmt man Duin aber ernst, wirds bedenklich. Denn während die ökonomischen Auswirkungen einer Fusion unbestimmbar bleiben, ist klar, was durch sie verloren ginge: Im föderalen System haben Kleinststaaten wie Bremen die Funktion, auf soziale Probleme aufmerksam zu machen. Denn auf lokaler Ebene lassen die sich nicht verdrängen: Dass von rund 100 jährlich durch ihre Familien getöteten Kindern ausgerechnet der Bremer Fall Kevin Auslöser bundespolitischer Diskussion geworden ist, liegt nicht daran, dass er grausamer gewesen wäre, als ähnliche in Hessen oder Niedersachsen. Sondern daran, dass er hier sofort auch Landes-Politikum werden musste.
Die Sichtbarkeit von Problemen, die Sichtbarkeit sozialer Ungleichheit aber ist erste Voraussetzung für deren Beseitigung. Und diese war immer Hauptziel der Sozialdemokratie. Duin - hat damit nichts am Hut.
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