Kommentar: Politiker sind nur ein Mosaikstein
Breiter Protest von Zivilgesellschaft und auch Parteien kann einen großen Neonazi-Aufmarsch verhindern. In Prenzlauer Berg ging es nun einen Schritt weiter.
Er war das Vorbild der Stunde: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, wie er sich auf den Asphalt vor der Neonazi-Demonstration in Prenzlauer Berg setzte und Worte nicht reichten, um ihn zur Aufgabe zu bewegen. Er knüpft damit an die erfolgreichen Proteste in Dresden im Februar an - und stellt sich gleichzeitig an die Spitze.
Damals zeigte sich, dass ein breiter Protest, der von Zivilgesellschaft und auch Parteien getragen wird, einen großen Neonazi-Aufmarsch verhindern kann. In Prenzlauer Berg ging es nun einen Schritt weiter: Eine Handvoll Lokal- und Bundespolitiker setzte sich auf die Straße. Sie schafften es, die Mitte zwischen Zu-früh-Aufgeben und Sich-zu-spät-Wegschleifenlassen zu finden - und wurden zum Thema Nummer eins dieses 1. Mai. Mit Ausnahme der Gewerkschaft der Polizei, die Thierses Verhalten als "würdelos" abkanzelt, gibt es Anerkennung und Respekt.
Das registrieren die Politikerkollegen - auch jene, die im Wahlkampf positive Aufmerksamkeit brauchen können. Und möglicherweise findet ja der nächste Naziaufmarsch nahe dem eigenen Wahlkreis statt. Man sollte sich gut überlegen, ob man ein derartiges Verhalten verwerflich fände - schließlich würde es einem guten politischen Zweck dienen.
Man darf nur nicht vergessen, dass es längst nicht Politiker sind, die eine Blockade erfolgreich machen. Die Basis bilden tausende Engagierte, die sich auf die Straße setzen. Sie widerlegten am Samstag auch das Bild einer stets gewalttätigen Gegendemo, wie es einige im Vorfeld heraufbeschworen. Damit sind sie genauso Vorbilder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ökonom zu Habecks Sozialabgaben-Vorstoß
„Die Idee scheint mir ziemlich unausgegoren“
Strategien zur Klimarettung
Klimapopulismus, ja bitte!
Habeck stellt neues Buch vor
Sich „tastend bewegen“
Budapest-Komplex
Frankreich zweifelt an fairem Verfahren in Ungarn
Robert Habeck im Untersuchungsausschuss
Atomausstieg ohne Denkverbote
Weltskiverband und der Berg Wank
Werbeverbot als Empörungsprophylaxe