Kommentar: Bürger sind weiter als Politik
20 Prozent der BerlinerInnen würden sich laut einer Umfrage durch Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft gestört fühlen. Eigentlich eine ziemlich gute Nachricht.
Gute Nachrichten sind keine Nachrichten, lautet eine ebenso traurige wie falsche Journalistenweisheit. Ihr ist es vielleicht geschuldet, dass das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Umfrage zur Toleranz gegenüber Flüchtlingen in Berlin negativ wiedergegeben wird: Jeden fünften Berliner würden Flüchtlinge in seiner Nachbarschaft stören, heißt es in den Berichten.
Jeder fünfte Berliner würde sich laut einer Umfrage von einem Flüchtlingsheim in seiner Nachbarschaft gestört fühlen. Dies geht aus einer Forsa-Umfrage für die Berliner Zeitung hervor. Demnach gaben 21 Prozent der Befragten an, dass sie eine Unterkunft in der Nachbarschaft "stark" oder "sehr stark" stören würde, 65 Prozent sprachen sich hingegen dafür aus, dass Asylbewerber nicht in "Ghettos" am Stadtrand, sondern in den Wohngebieten untergebracht werden sollten. Für die Erhebung wurden 1.005 Menschen in der Stadt befragt. (epd)
Dabei ist das in Wirklichkeit ein ziemlich gutes Ergebnis. Vier von fünf BerlinerInnen, 80 Prozent der BewohnerInnen der Stadt, stören Flüchtlinge nicht. Das ist ziemlich überraschend nach dem Eindruck, den Bürgerversammlungen zu geplanten Asylunterkünften in der letzten Zeit hinterlassen haben. Dieser Widerspruch zwischen Fakten und Bildern belegt etwas, das in Berlin häufig sichtbar wird: Die BürgerInnen der Stadt sind in Fragen des interkulturellen Zusammenlebens erheblich weiter als ihre PolitikerInnen.
Jenen gelingt es nicht, rechten AktivistInnen auf Bürgerversammlungen robust entgegenzutreten. Aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen zieren sich viele, in Flüchtlingsfragen, die immer auch Menschenrechtsfragen sind, klar Position zu beziehen. Mitglieder von zwei Parteien, CDU und NPD, hetzen sogar ganz offen gegen Asylbewerberheime.
Es stimmt, unter CDU-WählerInnen ist laut der Umfrage die Ablehnung von Flüchtlingen etwas stärker verbreitet als unter anderen. Dass die Partei da (teilweise) mitgeht, ist also zumindest wahltaktisch nachvollziehbar. Oder vielleicht nicht? Noch mal: 80 Prozent der BerlinerInnen haben keine Probleme mit Flüchtlingen in der Nachbarschaft. Wer Mehrheitspartei sein will, sollte darüber nachdenken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken