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KommentarDie bigotte Gesellschaft

■ Pastor Klaus Geyer muß wegen Totschlags acht Jahre ins Gefängnis

Klaus Geyer ist ein Totschläger, sagt das Gericht. Noch die nächsten Tage wird an dem Urteil herumgedeutelt und gemäkelt werden, dann wird der Pastor aus den Schlagzeilen verschwinden. Was die Öffentlichkeit aus dem Fall Geyer herausholen konnte, hat sie längst getan. Lange vor dem Richterspruch. Seit Monaten ging es nicht mehr nur um die Frage, ob Klaus Geyer schuldig im Sinne der Anklage ist. In den Augen vieler hatte er sich bereits durch seinen Lebenswandel schuldig gemacht, weil er mehrfach die Ehe und andere Gebote brach. Der Fall Geyer – eine Lektion, wie diese Republik ist.

Realität in dieser Republik ist, daß Legionen von Ehen gebrochen werden. Realität ist, daß sich an jeder Straßenecke und in jeder Talkshow jemand findet, der mit seinem ausschweifenden Sexualleben angibt. Realität ist auch, daß der Moralkodex der Kirche für die meisten kaum noch von Bedeutung ist. Nur im Fall Geyer sollte alles anders sein.

Als sich die Nachrichten über sein Intimleben verbreiteten, vereinten sich manche Medien und Volkes Stimme in brennender Empörung. Da schien der Pastor bereits seine Berufung verraten zu haben, weil er kein guter Ehemann war. Da sollte die sonst so geschätzte sexuelle Freizügigkeit gefälligst vor dem Pfarrhaus haltmachen. Da wurden die moralischen Ansprüche der Kirche plötzlich ernsthaft diskutiert, als wären sie gesamtgesellschaftlicher Konsens. Selbst Bild lernte die zehn Gebote auswendig – um sie dem Gottesmann um die Ohren zu schlagen.

Mit viel gutem Willen läßt sich in dieser Erregung ein Bedürfnis nach Moral entdecken: ein Ruf nach Orientierung in einer pluralen Gesellschaft, in der es keinen verbindlichen Wertekanon mehr gibt. Wie weit ist es bloß gekommen, wenn schon ein Pfarrer so ist (wie wir alle)?

Mit weniger gutem Willen spürt man hinter der Empörung nichts als ein heuchlerisches, scheinheiliges und bigottes Bedürfnis, den Anschein zu wahren. Alles schreit nach der Wahrheit – aber wenn sie heraus ist, wird das Geschrei nur um so lauter. Denn im Grunde will es ja niemand wissen: daß sich auch ein Geistlicher in Liebesgeschichten verstricken kann, daß in der Kirche nicht das moralisch bessere Leben gelebt wird, das viele von den Vertretern dieser Institution erwarten – quasi stellvertretend. So bleibt am Ende eine zusammengelogene Realität. Und ein Pfarrer als Totschläger. Bascha Mika Bericht Seite 5

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