■ Kommentar: Die grünen Kasper Das neue Einbürgerungsrecht ist christlich-liberal
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sollte neben dem Atomausstieg und der Ökosteuer das ganz große grüne Regierungsding werden. Stattdessen wurde sie zum Desaster der Bürgerrechtspartei. Nachdem das Gesetz und seit zwei Tagen auch die dazugehörigen Verwaltungsvorschriften auf dem Tisch liegen, lautet die Bilanz: Nie war der kleine Koalitionspartner in der Regierung so überflüssig wie heute. Keine ihrer ursprünglichen Vorstellungen konnten die Grünen durchsetzen. Stattdessen wurde die „Jahrhundertreform“ eine christlich-liberale.
Zur Erinnerung: Erst wollten die Grünen ein Staatsbürgerschaftsrecht mit großzüger Vergabe des Doppelpasses. Nichts da, sagten die Bürger, und es wurde ein Gesetz verabschiedet, das dem Entwurf der FDP folgte.
Nach der schmählichen Niederlage hofften die Grünen auf einen Imagegewinn via Verwaltungsvorschriften. Und die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck versprach in den zurückliegenden Wochen tatsächlich viel: Die Willkür bei den Einbürgerungsverfahren sollte beendet werden, unbürokratisch und schnell sollten sie sein. Regelanfragen beim Verfassungsschutz? Nicht mit uns, das würde die Einbürgerungswilligen generell unter Extremismusverdacht stellen, meinte sie. Auch sollte das Level der Sprachkenntnisse ganz, ganz niedrig gehalten werden.
Nichts von den grünen Versprechen und Absichten wurde realisiert. Stattdessen können die CDU-regierten Bundesländer triumphieren: Nahezu alles, was CDU und CSU im Vorfeld gefordert haben, ist in die Verwaltungsvorschriften eingearbeitet: Wer will, der kann weiterhin an den Regelanfragen festhalten. Und die Ausführungen zu den Sprachkenntnissen sind so weit gefasst, dass viele Einbürgerungswillige ohne Mühe aus dem Verfahren geprüft werden können.
Wenn die Grünen das Ganze nun als Erfolg verkaufen, sagt das vor allem dreierlei über deren moralische Verfassung aus. Erstens: Es stört sie nicht, sich zum Kasper und Gehilfen des politischen Gegners zu machen. Zweitens: Es ist egal, was hinten rauskommt, Hauptsache, die Partei bewegt sich weiterhin im Epizentrum der Macht, sei sie so einflusslos wie auch immer. Und drittens: Noch nie lagen ideologische Verbohrtheit und politische Prinzipienlosigkeit so nah beieinander wie bei den Grünen. Eberhard Seidel
Bericht Seite 5
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