Kommentar: Woge der Heuchelei
■ Bezirkschefs beschwören Naturschutz und meinen: Flüchtlinge raus
Die Woge mitmenschlicher Nähe, die plötzlich aus den Bezirken Hamburgs Flüchtlingen entgegenschwappt, wird schnell wieder verebben. Natürlich stoßen sich die Provinzchefs nicht wirklich an Baumaterial oder Ausstattung der Pavillondörfer. Ansonsten müßten sie sich fragen lassen, weshalb sie vor Jahren, als die Holzhütten aufgestellt wurden, deren schlechten Zustand scheinheilig übersahen.
Die Menschen(un)würdigkeit einer Behausung läßt sich nicht anhand ihrer eigenen Lebensdauer, sondern allenfalls an der Aufenthaltszeit ihrer Bewohner messen. Daß Flüchtlinge aber 20 Jahre oder länger an dem Ort ihrer Erstaufnahme verweilen sollen, hat niemand behauptet. Es geht nur darum, feste Quartiere an festen Standorten für eine stets wechselnde Bewohnerschaft zu schaffen.
Genau das macht die vereinten Bezirksfürsten so wütend: Sie sind es, die den Schwarzen Peter gezogen haben. Wie jetzt der Anwohnerschaft schonend beibringen, daß man sie leider an der Nase herumgeführt hat? „Flüchtlinge raus“, beißen sich die Amtsleiter auf die Zunge, kommt wohl nicht so gut.
Dafür aber der Kampf um Grünflächen um so gelegener. Ewigen Naturschutz geloben sie und hoffen, daß niemand die Heuchelei bemerkt: Geht es um die Ansiedlung einer Arena samt Parkplätzen im Volkspark, oder meldet der Umweltsenator Bedarf für einen Müllofen an, werden Grünflächen zweckentfremdet, ohne mit der Wimper zu zucken. Deswegen werden die Bezirke auch bald fordern, daß Flüchtlinge für ihr Bleiberecht Grunderwerbssteuer zahlen sollen. Heike Haarhoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen