piwik no script img

■ KommentarWo liegt Berlin?

Mal ehrlich: Wer hätte gedacht, daß die Mitte Berlins in der Alexandrinenstraße in Kreuzberg liegen soll? Ist aber so. Zumindest behauptet das die Vermessungsabteilung der Senatsbauverwaltung, die den Stadtplan auf der Spitze eines Bleistifts ausbalanciert hat. Keine Panik! Die Suche nach dem Berliner Zentrum war schon immer aufs engste an die Perspektive des Fragestellers geknüpft. Mag die Alexandrinenstraße tatsächlich das Zentrum der Berliner Balanciererei markieren, das geographische Zentrum befindet sich noch immer in Mitte, irgendwo im Nikolaiviertel. Für Investoren und Politiker wiederum ist das Zentrum dort, wo gebaut wird – also wahlweise am Potsdamer Platz, in der Friedrichstraße oder am Alexanderplatz.

Wo liegt Berlin aber wirklich? Nimmt man den Standpunkt des Betrachters tatsächlich ernst, liegt Berlin dort, wo man gerade ist – oder sein möchte: am Ku'damm, in der Wiener Straße, am Flughafensee oder in Lübars. Wie es neben dem geographischen Stadtplan auch einen mentalen gibt, in dem sich die individuellen Nutzerspuren eingraviert haben, so gibt es neben der geographischen Mitte auch eine ideelle. Die Antwort auf die Frage, wo denn dann Berlin liege, ist im übrigen längst schon gegeben. „Berlin ist viele Orte“, hieß es schon 1920 bei der Eingemeindung von Groß-Berlin. Als ob sie geahnt hätte, daß die Suche nach dem Zentrum vor allem in Zeiten wie diesen wieder aufs Tapet kommt, hat die Schriftstellerin Renée Zucker erst neulich noch einmal betont, daß Berlin nicht dort ist, wo man es sucht, sondern dort, wo die Berliner sind. Ihre schlichte Antwort lautet: „Berlin ist anderswo.“ Ob das den Alexandriner-Kreuzbergern oder den Investoren nun paßt oder nicht. Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen