■ Kommentar: Das Ende eines Rituals
Die Klausur, jenes stille Räsonieren in mönchischer Abgeschiedenheit, hatte in Berlin einen bitteren Beigeschmack bekommen. Wenn sich die Koalitionäre zurückzogen, um in Klausur den Haushalt zu entwerfen, verwandelte sich das Senatsgästehaus in eine Folterkammer. Tagelang malträtierten sich die Regierenden hinter verschlossenen Türen. Heraus kamen oft genug nur Pfennigbeträge an Einsparungen. Der Senat machte sich lächerlich. Von Regierungskunst keine Spur. Die Öffentlichkeit informierten derweil Lungerjournalisten. Vor der Tür schnappten sie ein Wort von Elmar Pieroth auf, der auf dem Weg in seine Pizzeria war, oder lauschten andächtig dem Grummeln von Klaus Landowsky, der sich zum Tennis davonstahl.
Es wäre viel gewonnen, wenn dieses Ritual des vergangenen Westberlin das Schicksal der Mauer ereilte. Man näherte sich wieder einer politischen Kultur, die diesen Namen verdient. Freilich muß man nicht zu sehr hoffen. Eingefleischte Rituale lassen sich schwer abschaffen. Und die derzeit laufenden Chefgespräche führen vor Augen, wie diffizil Etatberatungen bleiben. Da liegen die Finanzsenatorin und Elmar Pieroth im Clinch, weil der zusätzliches Geld will, um mehr Bundesmittel in die Stadt zu holen. Nicht anders der Streit um die Lohnkostenzuschüsse, die Christine Bergmann gern hätte. Oder das Plus an Flüssigem, das Peter Radunski braucht, weil er höhere Beiträge an die Max-Planck-Institute überweisen muß. Alles wichtige Dinge, denen die neue Praxis zunächst nur einen Vorteil bringt: daß sie nicht mehr dem Dilettantismus einer kompletten Senatsrunde anheimfallen. Christian Füller
Siehe Bericht Seite 18
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