Kommentar: Schröder - eine Niederlage der Linken?
■ Egal, ohne Aufbruch keine Chance gegen Kohl
Endlich ist es vorbei. Monatelang hatten die beiden Flügel der SPD taktiert, nach außen geschwiegen, nach innen getrickst. So überragend wichtig erschien die Frage nach dem Kanzlerkandidaten, daß die Partei programmatisch derweil nichts auf die Reihe bekam als die Losung „Innovation und Gerechtigkeit“. Lafontaines Mehrheit unter den Parteifunktionären, von den Medien mitleidig belächelt, zimmerte sich eine wenig bequeme Wagenburg, starrte gebannt auf die neuesten Umfragewerte und leistete sich schließlich mit der tölpelhaften Indiskretion eines Strategiepapiers der Linken einen grauenhaften Fauxpas.
Seit Sonntag abend ist nun alles anders. Schon die ersten Hochrechnungen fegten die schützende Wagenburg hinweg und machten einem allseitigen Hochgefühl Platz. Der Parteivorsitzende brauchte den Satz „Ich kenne keine Lafontaine-Anhänger mehr, ich kenne nur noch Wahlkämpfer“ nicht einmal mehr auszusprechen, die erlösende Nachricht konnte er getrost seinen Bundesgeschäftsführer überbringen lassen.
Eine Niederlage für die Linke? Wenn ja, war sie vermeidbar? Bei der SPD will das im Moment niemand analysieren. Sich erst mal freuen. Richtig freuen, daß der Take-off geschafft ist. Daß die quälende Unsicherheit, vielleicht mit einem politisch korrekten, aber weniger chancenreichen Kandidaten ins Rennen zu ziehen, zu Ende ist. Gönnen wir es der SPD. Warum soll sie nicht erleichtert sein? Die Entscheidung ist so eindeutig gefallen, daß keine Seite der anderen später etwas vorzuwerfen hat.
Schröder kann Wähler und Wählerinnen mobilisieren, mit ziemlicher Sicherheit auch außerhalb von Niedersachsen. Das gibt der SPD Mut und auch den Grünen Hoffnung. In den kommenden Monaten wird noch viel räsoniert werden, ob es den Grünen ein Kanzler Schröder leichter machen wird, weil sein einziges Prinzip die Machterhaltung ist (ähnlich wie bei Kohl) – oder ob seine Verachtung für einen sozialökologischen Umbau Rot-Grün blockieren würde.
Fest steht, daß eine gesellschaftliche Bewegung nicht existiert, die Rot-Grün von unten an die Macht spülen könnte. Und deshalb gibt es ohne Siegeszuversicht – bei SPD wie Grünen – keine Aufbruchstimmung, die sich auf die Wählerschaft übertragen kann. Diese Zuversicht hat Schröders fulminanter Wahlsieg über Nacht herbeigezaubert. Michael Rediske
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