Kommentar: Was fehlt
■ Die SPD will mit Wachstum gewinnen - und schweigt zu den Zukunftsthemen
Die besten Autos der Welt bauen, Faulenzern keine Sozialhilfe mehr zahlen, Verbrecher hart bestrafen, die Polizei aufstocken und Fußball für alle – die Vorkoster der Bild-Zeitung haben dem deutschen Wahlvolk die Sahnehäubchen aus dem Programm des SPD-Kanzlerkandidaten serviert. Der Beifall der Bild-Leserschaft für Schröder dürfte gesichert sein.
Der Mann ist eben ein Medienprofi. Er weiß, gegenüber wem er sich auch durch gezielte Indiskretionen zu verneigen hat – die Springer-Leute haben es ihm gedankt. Ein Teil der Partei mag sich darüber noch einmal ereifern, das eigentliche Problem des SPD-Regierungsprogramms ist ein anderes. Die SPD verbreitet eine falsche Botschaft und drückt sich vor den wirklichen Zukunftsfragen. Die Message von Schröder plus Lafontaine ist: Wenn alle sich vernünftiger verhalten, wenn die echten Unternehmer mit den leistungsbereiten Arbeitnehmern unter einer gerechten staatlichen Moderation von Schröder und Lafontaine wieder zusammenarbeiten, wird es wieder Vollbeschäftigung und Wohlstand geben. Wachstum ist machbar, Frau Nachbar, man muß es nur wollen.
Dieser Tenor zieht sich durch alle Kapitel des Wahlprogrammentwurfs und ist erst einmal nicht unsymphatisch. Vernunft ist ja nichts Schlechtes. Nur: Diese sozialdemokratische Machbarkeitsstudie zum Standort Deutschland wird nicht funktionieren. Da ist zwar viel von Dienstleistung die Rede, das Arbeitsamt soll eine Serviceagentur für Hausmädchen aufmachen – von einem neuen Begriff von Arbeit für die postindustrielle Gesellschaft liest man dagegen nichts. Der ökologische Umbau der Gesellschaft ist bei der SPD vor allem maßvoll: „Überzogene Belastungen wird es mit uns nicht geben.“ Das sind Beruhigungspillen vor rot-grünen Ängsten, aber keine Denkanstöße für gesellschaftliche Erneuerung. Die alte Parole „Mehr Demokratie wagen“ ist auf die technokratische Ebene von Volksbegehren reduziert.
Nahezu völlig ausgeblendet ist die Diskussion um die Weltoffenheit der deutschen Gesellschaft. Die multikulturelle Gesellschaft, die europäische Gesellschaft ist in dem SPD-Papier nicht mehr oder noch nicht vorgesehen. Wenn in Bonn, wenn in Berlin wirklich etwas Neues passieren soll, wenn in Deutschland wirklich über Zukunftsentwürfe diskutiert werden soll, müssen die Grünen sich anstrengen mit ihrem zukünftigen Regierungspartner. Jürgen Gottschlich
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